Die scheinbar primitiven Jenseitsvorstellungen im Islam werden vom aufgeklärten Westen oftmitleidig belächelt. Dabei verbergen sich hinter den Jenseitsbildern Metaphern, die tiefgründig underkenntnisreich sind. Auch, um den Monat Ramadan zu verstehen.
Was passiert eigentlich mit Topmodels, die minderjährig sterben? Kommen sie in die Hölle oder in das Paradies, weil Kinder doch ob ihrer Unschuldigkeit automatisch ins Paradies eingehen? Ein bekannter Mullah wusste natürlich die Antwort und erklärte überzeugt, dass solche Grazien in Zelten verweilten, die zwischen Paradies und Hölle verortet seien und zu denen die Paradiesbewohner Zutritt hätten, um sich jederzeit verwöhnen zu lassen. Was sich anhört, wie ein schlechter Witz, ist leider ein Beispiel unter vielen, das Zeugnis davon ablegt, welche Paradiesvorstellungen bestimmte Muslime haben. Diese Projektionen kommen natürlich nicht von ungefähr, so gibt es denn auch tatsächlich einen Vers im Koran, in dem es heißt, dass holdselige mit herrlichen schwarzen Augen, wohlbehütet in Zelten (55:73) auf die Gläubigen warten werden. Hatte der Mullah also zumindest ansatzweise Recht? Und wie steht es um die bereits berühmt gewordenen 72 Jungfrauen, die angeblich jeden Märtyrer erwarten und nach denen jeder Selbstmordattentäter sehnsüchtig schmachtet, wie wir spätestens aus den Medien detailliert erfahren? Ganz zu schweigen von den Gärten mit Strömen voller Milch und Honig, die im Koran so lautmalerisch beschrieben sind und die in den Feuilletons der Zeitungen von Intellektuellen als Beleg für die Primitivität der islamischen Kultur diskutiert werden. Orientalisten und Islamwissenschaftler kennen da natürlich die Antwort: Wen wundere es, so der Tenor, dass ein sensualistisches Wüstenvolk wie das der Araber, sich mit Vorstellungen von eine Landschaft mit üppigen Gärten und praller Vegetation tröstet und dabei seinen erotischen Wünschen freien Lauf lässt? Der Koran wird damit herablassend zu einem Buch der Phantasiegeschichten diffamiert, ohne seinen tiefergehenden Gehalt studiert oder verstanden zu haben.
Wo bleibt die Logik…
Bevor wir nun einige Koranverse, die das Leben im Jenseits beschreiben, genauer in Betracht ziehen, stellt sich doch zunächst einmal grundsätzlich die Frage, wie ein denkender Mensch annehmen kann, das Jenseits sei materieller Natur. Welchen Sinn etwa hat es, wenn den Gläubigen im Diesseits zwar Alkohol, Maßlosigkeit und ein ausschweifendes Sexualleben verwehrt werden und im als heilig angesehnen Monat Ramadhan zumindest tagsüber sogar völlig auf fleischliche Genüsse verzichtet wird, wenn gleichzeitig all dies im Jenseits in Fülle und Übermaß vorhanden sein soll? Einige orthodoxe Muslime meinen, dass die Zeit der Entbehrung, Askese und Disziplinierung im Diesseits eine Prüfung sei und der Hedonismus im Jenseits eine Belohnung für die erbrachten Mühen. Doch ist das nicht sehr kurzfristig gedacht? Sind die Gebote Allahs, des Allwissenden und Allweisen nicht viel umfassender und ganzheitlich ausgerichtet? Man verharrt in den infantilen Denkmechanismen kleiner Kinder, wenn man nicht über diese Ebene von Strafe und Belohnung hinaus kommt und versucht zu begreifen, welchen Sinn unser Leben wirklich hat.
Der Sinn des Lebens
Als Quintessenz der islamischen Lehre, und darin dürften sich die meisten islamischen Gelehrten einig sein, wird das Ziel gesehen, Allahs Wohlgefallen und Seine Nähe sowie Liebe zu erlangen, indem man ihm dient: Und Ich habe die Jinn und die Menschen nur darum erschaffen, dass sie Mir dienen (51:57), heißt es dazu im heiligen Koran. Der Gläubige ist demnach bestrebt, sich mit den Attributen Allahs zu färben und dadurch zur Einheit mit Allah zu gelangen. Ziel ist es somit, die Seele derart zu reinigen, dass sie fähig wird, Allah zu erkennen. Jedes Gebot dient letztlich dazu, sich Allah in Seiner Vollkommenheit anzunähern und das eigene Ich mit all seinen egoistischen und eitlen Wünschen völlig zu durchtränken mit den Farben der Attribute Allahs. Das Leben in dieser Welt wäre demnach ein Weg, um die Seele darauf vorzubereiten, Gott zu erkennen, d.h. Gotteserkenntnis zu erlangen. Um möglichst schnell und sicher an dieses Ziel zu gelangen, hat Allah uns Richtlinien und so etwas wie Trainingstipps mit auf den Weg gegeben, die uns weiterhelfen. Eine dieser Empfehlungen Allahs besteht darin zu fasten.
Der Ramadan als Simulation des Jenseits
Nehmen wir nun das Fasten im heiligen Monat Ramadan als exemplarisches Beispiel dafür, wie man den Sinn der Gebote Allahs auf verschiedenen Ebenen interpretieren kann. Oberflächlich gesehen geht es in diesem Monat darum, sogar auf das normalerweise von Gott Erlaubte zu verzichten. D.h. man entbehrt nun sogar all jenes, das einem – islamisch gesehen legitimen – Genuss verschafft, wie Essen, Trinken oder Sex. Für manche mag dieser Monat nun ein besonders qualvoller sein und nicht selten versuchen sich Fastende auch abzulenken, indem sie die zu fastende Zeit überbrücken durch Schlafen, Fernsehen oder Sonstigem. Doch bereits der Verheißene Messiasas erklärte, dass Allah alles, das uns Ihm näher bringt, reizvoll gemacht hat, so dass der wahrhaft Gläubige Lust und Freude darin empfindet, Gutes zu tun. D.h. genau so, wie der gesunde Mensch einen Genuss darin empfindet, gut zu speisen oder Zärtlichkeiten auszutauschen und nur im kranken Zustand appetit- und lustlos wird, geht es auch der gesunden bzw. kranken Seele mit dem Gebet oder anderen guten Taten. Im Zustand des Fastens nun wird die Seele für einen bestimmten Zeitabschnitt darauf vorbereitet zu lernen, gänzlich unabhängig von materiellen Genüssen, Freude und Befriedigung zu empfinden. Alles, was dem Menschen normalerweise körperliche Lust bereitet, wird ihm genommen, so dass er geradezu gezwungen ist oder zumindest besonders stark motiviert ist, Lust im Geistigen zu suchen. Völlig ohne Ablenkung körperlicher Lustempfindungen trainiert die Seele in der Schönheit des Gebetes und durch das Vollbringen guter Taten Befriedigung zu erlangen. So wird das Zikr, das Gedenken Allahs, zu einer Art Muskeltraining, das die Seele wachsen lässt, so dass sie in die Lage versetzt wird, Gott zu erkennen. Der Ramadan ist damit die intensivste Trainingsphase, eine Art Marathon für die Seele, bei dem man – ausreichend Training im Vorfeld vorausgesetzt – besonders schnell und konzentriert voran kommt.
Der heilige Monat Ramadan stellt damit eine Simulation des Jenseits insofern dar, als dass die Seele sich an den Zustand gewöhnt, den sie immerwährend im Jenseits einnimmt: Ein Zustand ohne Körper und Materie.
Die Hölle wird seine Mutter sein
Wie nun aber ergeht es jener Seele, die die Trainingseinheiten des alltäglichen Gebets, Zikrs und dem jährlichen Ramadan nicht absolviert hat? Eine Seele, die nicht gewachsen ist, eine Seele, die Allah nicht näher gekommen ist, die Ihn in Seiner Größe und Erhabenheit nicht erkannt hat, folglich eine Seele ohne jegliche Gotteserkenntnis? Sie wird sich fühlen, wie ein frisch geborener Säugling, der völlig hilflos und verzweifelt schreit, aber nicht in der Lage ist, seiner Mutter nahe zu sein, der seine Mutter gar nicht erkennen kann. Wenn es im heiligen Koran heißt: Wer aber blind ist in dieser Welt, der wird auch im Jenseits blind sein (17:73), dann ist darunter ebendieses Unvermögen gemeint, Gott zu erkennen, Ihn zu sehen. Eine solche blinde Seele ist wie ein Säugling, der nichts über das jenseitige Leben weiß, der sich qualvoll zurücksehnt nach dem Ort der materiellen Genüsse, der ihm bekannt ist und der sich jetzt so unendlich verloren fühlt. Über eine solche Seele heißt es im Koran: Die Hölle wird seine Mutter sein (101:10).
Die Hölle drückt damit den Zustand der Gottesferne aus. Nicht zufällig bedeutet das arabische Wort für Satan Schaitan „er ging weg“ (siehe Wörterbücher Lane und Mufradat). Schmerzlich muss eine solche Seele ohne Gotteserkenntnis lernen, sich in einer Dimension zurecht zu finden, die völlig anders ist als das, was sie gewohnt ist und der sie nicht gewachsen ist, weil sie im diesseitigen Leben die Beziehung zum Schöpfer vernachlässigte. So wie ein neuer Mensch unter Qualen von der Mutter sündenfrei geboren wird, muss diese Seele einen qualvollen Reinigungsprozess durchlaufen, bis sie schließlich in der Lage ist, Gott zu erkennen. So wird auch diese Seele irgendwann erwachsen und in der Lage, Allahs Erhabenheit zu erkennen, da Allah erklärt …Meine Barmherzigkeit umfasst jedes Ding… (7:157) und weiterhin aus zahlreichen A-Hadith (Aussprüche des Propheten Muhammadsaw) hervorgeht, dass die Hölle nicht ewiglich andauert.
Was ist aber dann mit all den Versen gemeint, die so plastisch vom Höllenfeuer berichten? Widersprechen Sie nicht einer solchen metaphorischen Interpretation der Hölle? Eine Probe aufs Exempel zeigt, wie wenig schwierig es ist, jegliche Verse über die Hölle vor diesem Hintergrund zu lesen.
Ein Höllenvers interpretiert
Und sprich: „Die Wahrheit ist es von eurem Herrn: darum lass den gläubig sein, der will, und den ungläubig sein, der will.“ Siehe, Wir haben für die Frevler ein Feuer bereitet, dessen Zelt sie umschließen wird. Wenn sie dann um Hilfe schreien, so wird ihnen geholfen werden mit Wasser gleich geschmolzenem Blei, das die Gesichter verbrennt. Wie schrecklich ist der Trank, und wie schlimm ist das (Feuer) als Lagerstatt! (18: 29-39)
Grausam und drastisch wirkt dieser Koran Vers und sicherlich soll er auch eine abschreckende Wirkung haben. Doch ist der Islam deswegen, wie leider oft behauptet wird, eine unbarmherzige Religion? Dagegen spricht eigentlich allein schon die Tatsache, dass fast jede Sure damit beginnt, Allah als den Barmherzigen vorzustellen. Es hilft vielmehr, sich das hier beschriebene Höllenfeuer nicht physisch vorzustellen, was ohnehin unlogisch ist, wenn der Zustand der Seelen im Jenseits ein rein geistiger ist. Interessant ist es vielmehr, die einzelnen Metaphern ansatzweise zu entschlüsseln, um der tieferen Bedeutung des Verses auf die Spur zu kommen. Wofür etwa steht die Metapher Feuer? Zum einen heißt es im heiligen Koran, dass Iblis aus Feuer geschaffen wurde (7:13), die hervorstechende Charaktereigenschaft Iblis´ ist die Arroganz, denn er sagt von sich Ich bin besser als er [der Mensch] und ist deswegen nicht bereit, sich Allah zu unterwerfen. Feuer steht damit für große spirituelle, moralische Krankheiten, wie Hochmut, Stolz und Arroganz.
Ganz allgemein ist Feuer zerstörerisch, wie es auch Seelenkrankheiten wie Neid, Gier, Maßlosigkeit etc. sind. Menschen, die diese Schwächen in sich tragen, reißen damit oft ohne Rücksicht auf Verluste andere mit ins Verderben, so wie Feuerflammen ihre Umgebung völlig zu zerstören in der Lage sind.
Wasser ist im Koran oft eine Metapher für Offenbarung, wie später noch erklärt wird. Hier könnte Wasser daher eine schreckliche Erkenntnis symbolisieren: Die plötzliche Einsicht über das vergangene Fehlverhalten, die ungenutzte Chance, sich zu ändern. Heißes Wasser wirkt aber auch reinigend: Die Seele wird also von Sünden gereinigt, wobei dies hier aufgrund der Hitze, die bei hartnäckigem Schmutz notwendig wird, ein qualvoller Prozess ist. Blei dagegen wird oft zum Abdichten verwendet. Wenn das Wasser nun mit geschmolzenem Blei verglichen wird das die Gesichter verbrennt, dann könnte damit geeint sein, dass die bisher abgedichteten Wahrheiten, die man ignorierte, nun unaufhaltbar auf die Seele wirken. Dadurch kommt es zu einer qualvollen Erkenntnis, die dazu führt, dass Illusionen und jegliche Fassade zusammenbrechen: Der Mensch verliert sein Gesicht.
Das Aussehen der Seele
Das verbrannte Gesicht symbolisiert aber auch den Zustand der Seele. Denn im Jenseits gibt es keinen Körper mehr, das Aussehen des Menschen hängt also vom inneren Zustand der Seele ab. Der Verheißene Messiasas erklärte dazu, dass das Jenseits nichts anderes als eine Manifestation des menschlichen Lebens im Diesseits darstellt. Er beschreibt den Zustand der Seele im Jenseits denn auch als eine Verkörperung und Zurückstrahlung unserer geistigen Zustände in dieser Welt und betont, dass die Hölle ein Abbild der Taten darstellen wird. All die guten oder schlechten Taten und Charaktereigenschaften einer jeden Seele manifestieren sich somit in ihrem Erscheinungsbild, auch wenn die Seele nicht materiell sein wird. Bedenkt man, wie viel Geld, Zeit und Mühe die meisten Menschen für ein besseres Aussehen aufwenden und wie viele Industriezweige sich einzig und allein der Verschönerung des Menschen widmen, da den meisten Menschen ihre physische Attraktivität und ihr Aussehen außerordentlich wichtig sind, erscheint es besonders merkwürdig, wie wenig in das Aussehen der Seele investiert wird. Der Zustand der Seele, der schließlich immerwährend das Erscheinungsbild bestimmen wird, ist vielen völlig indifferent und gleichgültig. Dabei haben wir es im Hier und Jetzt in der Hand, unser künftiges Aussehen zu bestimmen. Hinzu kommt, dass man im Diesseits noch die Möglichkeit hat, den Körper mit vielen Tricks und Kniffen, dem richtigen Make-up und schicker Kleidung sowie Frisur etc. aufzupolieren. Im Diesseits verdeckt der Körper noch die inneren Zustände eines Menschen. Doch wenn alle Masken abgelegt sind, entlarvt der Zustand der Seele schonungslos, wie es um den Menschen steht – die Metapher des verbrannten Gesichtes drückt dies aus.
Eine andere Dimension
Es wird deutlich, dass vor diesem Hintergrund auch das Paradies niemals körperlicher Natur sein kann. Schließlich ist es ja das Ziel eines jeden Muslims, sich vom Materiellen zu lösen. Dazu ist gleichzeitig eine Anstrengung, der große Jihad, also der heilige Krieg eines jeden gegen seine inneren zerstörerischen Leidenschaften, schon in diesem Leben als Übung und Vorbereitung vonnöten. Der Gläubige ist jedoch keinesfalls jenseitsfixiert, in dem Sinne, dass er sich mit Jenseitsvorstellungen von ungerechten Zuständen in dieser Welt hinwegtröstet, wie einige berühmt gewordene Religionskritiker, darunter Feuerbach und Marx, postulierten. Vielmehr kann und soll der Gläubige schon in diesem Leben die Nähe und Liebe Allahs erfahren und ist aufgefordert, sein Leben aktiv zum Besseren zu ändern und sich für Gerechtigkeit einzusetzen – auch das führt zur Entfaltung des Gläubigen. Darin liegt schließlich die Entwicklung einer Seele, die nach Höherem strebt: Dass sie sich kontinuierlich weiter verändert und nicht im Stillstand verharrt, da auch Allah sich jeden Augenblick in neuem Glanz offenbart (55:30).
Zudem erlangen wir durch Visionen, Offenbarungen und Wahrträume schon in diesem Leben eine Vorahnung dafür, welche Dimension uns nach dem Tod erwartet. Denn auch diese sind losgelöst vom Materiellem und rein geistig, dennoch aber sehr intensiv (man denke an Alpträume). Nicht zuletzt der Koran selbst betont, dass es sich bei den Paradiesdarstellungen um Gleichnisse handelt, die allegorisch zu verstehen sind:
Ein Gleichnis von dem Paradiese, den Rechtschaffenen verheißen: Darin sind Ströme von Wasser, das nicht verdirbt, und Ströme von Milch, deren Geschmack sich nicht ändert, und Ströme von Wein, köstlich für die Trinkenden, und Ströme geläuterten Honigs. (47:16)
Wie nun kann man dann diese und andere Verse über das Paradies verstehen, wenn man sie nicht buchstäblich nehmen darf? Im Folgenden sollen einige Ansätze für mögliche Interpretationen gegeben werden, die jeder Denkende weiter verfolgen und ausführen kann.
Paradiesvorstellungen entmythologisiert
Es fällt auf, dass das Paradies oft beschrieben wird als ein Ort mit schönen Gärten, Flüssen, mit Früchten und Strömen von Milch und Wein sowie schönen Jungrauen (Vgl. u.a. Koran 2:26; 47: 16; 37:49-50). Daher rührt der oben angeführte Vorwurf, es handele sich bei den im heiligen Koran beschriebenen Paradiesvorstellungen um Projektionen der Araber, die sich von ihrer öden Wüstenlandschaft aus nach Oasen und grünen Gärten gesehnt hätten. Bei einer solch primitiven Auslegung verkennt man jedoch die Metaphorik, die z.B. von dem Wort Garten ausgeht. Der Garten war über alle Völker, Kulturen und Zeiten das Sinnbild für einen Ort des Friedens, der zum Verweilen einlädt – und das ist er immer noch. Vor allem aber impliziert der Begriff des Gartens, dass aus einem mitunter gefährlichen, zumindest aber wilden Dschungel durch Pflege und Kultivierung ein schöner, friedlicher und sicherer Ort werden kann. Der Garten wird somit zu einem Sinnbild für einen Frieden, der durch gezähmte Wildnis erreicht wird. Damit hätten wir eine schöne Metapher für die menschliche Seele, die im wilden Zustand von inneren Tieren, d.h. unmoralischen Charakterzügen beherrscht bleibt, wenn sie sich nur von ihren Instinkten und Trieben leiten lässt. Die Seele kann sich jedoch erheben und harmonischen Frieden und Licht ausstrahlen, wenn der Mensch entsprechend an ihrer Schönheit und Kultivierung arbeitet und sie ähnlich wie einen schönen Garten im richtigen Maße zähmt, ohne ihre Natur zu verleugnen.
Auch andere Schlüsselbegriffe lassen sich vielfältig auslegen. Kenner des qur-ânischen Textes wissen z.B., dass Wasser oft als Metapher für Offenbarungen und Mitteilungen Gottes verwendet wird. So wie im diesseitigen Leben Wasser die Quelle allen Lebens ist und notwendig um Leben zu erhalten, so ist für die Seele die Offenbarung Gottes, seine Zeichen und Antworten auf Gebete die Quelle ihres geistigen Lebens. Wasser wirkt zudem reinigend, die Seele wird somit von Sünden und Altlasten befreit. Deutlich wird die Verbindung zwischen Wasser als Metapher für das Wort Gottes in dem Vers 110 der Sure Al-Kahf, wo es heißt: Sprich: „Wäre das Meer Tinte für die Worte meines Herrn, wahrlich, das Meer würde versiegen, ehe die Worte meines Herrn zu Ende gingen, auch wenn Wir noch ein gleiches zur Hilfe brächten.
Ähnlich ist es mit den Strömen von Milch, die gemäß der wortwörtlichen Interpretation vieler orthodoxer Muslime buchstäblich durch die materiellen Paradiesgärten fließen. Eine metaphorische Deutung fällt jedoch auch hier nicht schwer und scheint um einiges sinnvoller. Denn Milch, vor allem, wenn man an Muttermilch denkt, ist ein Nahrungsmittel, das den menschlichen Körper wachsen lässt und ihn in der Nähe zu seiner Mutter gesund und kräftig macht. Im übertragenen Sinne könnte das für die Seele bedeuten, dass sie im paradiesischen Jenseits wächst und gestärkt wird durch das Wissen über die Person Gottes und durch die Erkenntnis und Nähe Gottes. Wissen ist in der Tat die Vorraussetzung für eine geistige Entwicklung und bildet die Grundlage des seelischen Wachsens, so wie die Muttermilch grundlegend notwendig für das Gedeihen des Säuglings ist. So gibt es auch ein Hadith, das diese Interpretation stützt: Der Heilige Prophetsaw berichtet dabei von einem Traum, in dem er soviel Milch trinkt, bis sie sogar aus seinen Nägeln fließt. Als seine Gefährten verwundert fragen, was der Traum bedeute, antwortet der Prophetsaw, dass Milch für Wissen stehe. Wissen stellt damit die wichtigste Voraussetzung für eine geistige, spirituelle Entwicklung dar.
Wein und Jungfrauen
Besonders absurd wäre es nun zu erwarten, dass ausgerechnet jene Genussmittel, die dem Muslim im diesseitigen Leben verboten sind, im Jenseits im Übermaß vorhanden sein würden. Welche tiefergehenden Gründe hätte dann die Abstinenz noch? Die mystisch-allegorische Lesart scheint daher angemessener als eine rein weltliche. Wein wird dann zum Gleichnis für einen Zustand der Versunkenheit, der durch die völlige Auflösung der Seele in Gott entsteht. Die Seele verliert sich somit im Rausch der Liebe zu Allah und erlebt damit einen Höhenflug, der im Gegensatz zum Alkoholrausch nicht in ein böses Erwachen und Kopfschmerzen mündet, wie es im Koran beschrieben wird (56:20), dennoch aber alle vorherigen Sorgen unwichtig werden lässt.
Dreh- und Angelpunkt einer jeden Kritik an der koranischen Paradiesvorstellung ist jedoch die Erwähnung der Huris, der schönen, willfährigen Paradiesjungfrauen. Über Jahrhunderte hinweg dienten sie sowohl Orientalisten und Islamwissenschaftlern, aber auch großen orientalisierenden Dichtern wie Goethe und nicht zuletzt vielen Muslimen als Projektionsfläche ihrer eigenen sinnlichen Begierden und Wünsche. Und auch Versuche, die sich von einer solchen Pervertierung koranischer Verse im Sinne lüsterner Machovorstellungen distanzierten, wiesen erhebliche Mängel auf. Man denke etwa nur an Christoph Luxenberg, der eine syro-armäische Lesart des Koran proklamiert und erklärt, es läge ein Übersetzungsfehler vor: Die koranischen Huris seien in Wirklichkeit weiße Weintrauben. Damit konnte er zwar ein wenig Aufsehen erregen, doch eine genaue Überprüfung seiner Thesen bringt gravierende methodische und logische Mängel ans Licht und wurde von Sprachwissenschaftlern auch deutlich artikuliert. Es hilft also alles nichts: Was hat es mit den augenscheinlich sexistischen Huris auf sich, wenn schon kein schlichter Übersetzungsfehler vorliegt? Zunächst einmal muss man sich vergegenwärtigen, dass das Jenseits keine Körper und damit auch keine Geschlechter kennt. Eine Diskriminierung der Frauen zu vermuten, wäre somit absurd, zumal auch von Jünglingen im Paradies die Rede ist (56:18,19). Hilfreich dagegen ist es, sich die genauere Wortbedeutung des Begriffes Hur anzusehen. Die wörtliche Bedeutung lautet unter anderem ein Kleidungsstück weiß werden lassen oder reiner Intellekt (siehe Wörterbücher Lane, Mufradat und Taj) Betrachtet man weiterhin den Kontext des Verses, so wird der Sinnzusammenhang deutlich. Es heißt z.B.
Und bei ihnen werden (Keusche) sein, züchtig blickend aus großen Augen, als ob sie verborgene Eier wären (37:49-50).
Die Metapher der großen Augen, die Eiern ähneln, scheint ungewöhnlich zu sein. Jedoch taucht im heiligen Koran und in der islamischen Mystik immer wieder das Gleichnis der Vögel auf. Vögel sind beschwingte Wesen, die dem Himmel nahe sind und die einen großen Überblick haben, da sie fliegen können. Im Koran wird der Vogel oft als Metapher für besonders rechtschaffene und gottesfürchtige Menschen verwendet, die Allah sehr nahe sind und Weisheit ausströmen. Die Jungfrauen mit den großen, eiergleichen Augen symbolisieren damit Gefährten im Jenseits, die Allah sehr nahe sind und deren Seelen vor Reinheit strahlen. Es handelt sich somit bei den Huris nicht um Personen, sondern um die Manifestation der Eigenschaften der Gläubigen und der Seelen-Gefährtinnen im Paradies.
Nur der Gereinigte kann ihn berühren
Der koranische Text ist vielschichtig und zeitlos. All die hier angeführten Interpretationsansätze für einige Verse und Metaphern sind voller Lücken und können in ihrer Tiefe und Schönheit noch ausführlich weiteranalysiert werden. Das bleibt die Aufgabe eines verständigen Lesers. Doch auch wenn man bei der oberflächlichen Auffassung der Verse stehen bleibt, tragen die koranischen Zeilen eine Botschaft mit sich, die voller Wahrheit bleibt. Somit drückt sich gerade in der Vielschichtigkeit und in den vielen Ebenen, auf denen der Koran gelesen werden kann, die allzeitliche Gültigkeit dieses heiligen Textes aus. Auch einfache, primitive Menschen konnten die Verse auf ihre Art verstehen und wie Kinder aus Angst vor den plastisch vorgestellten Höllenqualen ihr Verhalten ändern. Es ist damit eine stufenweise Erkenntnis möglich, da sich der Offenbarungstext dem Verstehenshorizont des Lesers anpasst. Die tiefergehenden Inhalte sind somit dem nachdenkenden, forschenden Leser vorbehalten, was nicht heißt, dass ein einfacher Mensch keinen Nutzen aus dem Koran ziehen kann. Jedoch heißt es auch, dass nur der Gereinigte den Koran berühren kann (56:80). Auch dies ist nicht buchstäblich zu verstehen, vielmehr können egoistische und eitle Beweggründe dazu führen, dass man zu einer hedonistischen Lesart einiger Koranverse neigt und damit seiner eigenen Bequemlichkeit eher dient, als der Entwicklung seiner Seele. Nur die gereinigte Seele, die sich ohne falsche Absichten und vorbehaltlos dem Koran zuwendet, kann entsprechend Nutzen aus ihm ziehen.Letztlich ermöglichen es die tiefergehenden Dimensionen, die von den Koranversen ausgehen, einen kleinen Einblick in die Schönheit Allahs zu erhaschen. Denn wie der Zustand der Seelen im Paradies wirklich sein wird, das vermag sich niemand in dieser Welt angemessen vorzustellen: Doch niemand weiß, was für Augenweide für sie verborgen ist als Lohn für ihre Taten (32:18). Sicher ist nur, dass Allah sein Versprechen hält: O Mensch, du mühst dich hart um deinen Herrn, so sollst du Ihm begegnen (84:7).