Wie sich im Anhimmeln von Schönheitsikonen die Abgründe einer ganzen Generation manifestieren und wie man doppelmoralisch die entblößte Frau hofiert, während die verhüllte drangsaliert wird. Freiheit kann dort verborgen sein, wo der oberflächliche Blick nicht hingelangt.

Die versklavte, schwarze Göttin

Sie ist schwarz, sie ist willig, sie ist bemitleidenswert – eine Sklavin. Ja es gibt sie, auch heute noch, mitten in Europa, im hochzivilisierten, demokratischen Abendland, wo die Würde des Menschen unantastbar ist. Es ist ein Skandal. Ihr Körper wird benutzt, verkauft, instrumentalisiert für die Interessen einiger wildgewordener Fanatiker. Sie wird unter dem Deckmantel einer menschenverachtenden Ideologie unterdrückt, und hat nie gelernt sich zu wehren, weil sie schon immer entsprechend indoktriniert und sozialisiert wurde. Sie braucht unsere Hilfe – wir müssen sie befreien! Verbieten wir Germany´s next topmodel.  

Necla Kelek darf sich freuen

Oh, sorry, falscher Film, so geht es nicht – das ist übertrieben. Das können wir nicht bringen, das bringt keinen Gewinn, das wird nicht akzeptiert  – bitte ersetzen Sie im eben gelesenen Absatz, erste Zeile, „schwarz“ mit „Türkin“ und verbieten am Ende anstelle von „Germany´s next topmodel“ das Kopftuch.  Sache geritzt, das geht selbstverständlich. Das lesen wir 1000fach in den Feuilletons deutscher Zeitungen – das ist Integrationspolitik.

„Politiker wollen Rechte muslimischer Frauen stärken“, schreibt die FAZ auf der Titelseite, ja, wir haben was erreicht, jubeln Kopftuchverbieter und möchtegern Musliminnenbefreier. Necla Kelek darf sich freuen, tut sie aber nicht, es gibt noch viel zu tun. „Unterm-Schleier“-Aktivisten plakatieren undercover die Innenstädte Deutschlands mit einer blaugeschlagenen Pippi-Langstrumpf und dick gedruckten Koranversen, die angeblich den Beweis dafür antreten sollen, dass die Unterdrückung der Frau dem Wesen des Islams inhärent ist. Schließlich kann man nicht tatenlos zusehen, wie Männer Frauen zwingen, das zu tun, was Männer wollen – ohne dass die Frauen es merken.

Dem männlichen Blick ist gedient

Reveal the Goddess in you – „Erwecke die Göttin in dir“ haucht uns Germany´s next topmodel im neusten Werbespot entgegen. Sei jung, hübsch und sexy und die Welt liegt dir zu Füßen.  Tausende von hoffnungsvollen Mädchen pilgerten zu den Castings, um ihrer heidnischen Göttin Heidi zu huldigen und um so zu werden wie sie meint zu sein: Schönheitsikone, erotisch und begehrenswert. Verehrt und angebetet. Physische Attraktivität als sinnstiftendes Element, wer schön ist, ist göttlich glücklich – nein, wer von anderen als schön erkoren wird, meint glücklich zu werden.  Und ist dabei so wenig göttlich wie nie zuvor. Dem männlichen Blick ist bestens gedient.

Laszive Schönheiten überall

Immer wieder lächeln uns makellose Gesichter mit aalglatten Körpern an, ihre Botschaft ist ebenso ecken- und kantenlos wie sie selbst: Werde schön wie ich und du hast dein Lebensziel erreicht oder je nach Geschlecht das Pendant für Männer: Besitze so etwas Schönes wie mich und du wirst wahrlich zufrieden sein. Das ökonomisch Praktische daran: Ins Ziel kann man nicht gelangen, die zur Perfektion retuschierte Scheinwelt muss Illusion bleiben und kann daher ewig als Projektionsfläche der eigenen Sehnsüchte und Aufstyle-Optimierungsversuche fungieren. Wer meint, sich dieses primitiven Einflusses entziehen zu können, erhaben zu sein über die Persuasionsmechanismen, die die Omnipräsenz der sich räkelnden Schönheiten freisetzten, ist bereits völlig kontaminiert und chancenlos verloren.

Moderne Sklaverei?

Komisch ist es ja schon.  Wenn eine Schauspielerin wie Julie Delpy sich darüber empört, dass „Frauen von unserer Konsumgesellschaft unter Druck gesetzt“ werden, indem „man ihnen vorschreibt jung und schön zu sein“ und das als eine andere, moderne „Form der Sklaverei“ bezeichnet, dann wird darüber zwar in dem einen oder anderen Blättchen berichtet. Mehr aber auch nicht. Sind es nicht ewig schnoddrige Kulturpessimisten, die meinen die Gegenwart sei einem Schönheitswahn verfallen? Letztlich haben sich Menschen schon zu allen Zeiten nach Schönheit, Attraktivität und Jugend gesehnt. Und auch der Islam lehrt: Gott ist schön, er liebt die Schönheit.

Die Abgründe menschlicher Unschönheiten

Fragt sich nur, was die Schönheit eines Menschen ausmacht. Und ob es schön ist, wenn man Körperlichkeiten bis ins Obsessive präsentiert, zur Schau stellt und vermarktet – und dabei eine Gesellschaft generiert, für die Oberflächlichkeiten nicht nur ein Ausmaß an Relevanz einnehmen, das zerstörerisch kontraproduktiv ist, sondern sogar sinnstiftend wirken. Ganz abgesehen davon, dass Formate wie Germany´s next topmodel Abgründe menschlicher Unschönheiten aufreißen, die nicht gerade von erstrebenswerten moralischen Eigenschaften strotzen. Zickenterror, Lästerattacken, peinlich zwanghafte Selbstinszenierung, unreifes Profilieren und sich Anbiedern sowie egoistisches Ellenbogendenken – das waren nur einige wenige Macken der Anwärterinnen in der Castingshow der vordergründig Schönen. Wen wundert es;  das einzige bisherige Ziel im Leben der Kandidatinnen scheint das Streben nach dem Thron des Supermodels  zu sein. Das manifestiert sich unter anderem darin, dass sich die möchte-gern Mannequins so sehr vor der Vorstellung, nicht die Auserwählte zu sein, fürchten, dass Heultattacken nach der Selektion mindestens das abschließende Ritual einer jeden Sendung sind. 

Spätestens nach diesem Blick in die Tiefen menschlicher Hässlichkeiten, wird klar, dass wir hier sehr unreife Seelen vor uns haben. Verkümmerte kleine Opfer einer Welt im Fegefeuer der Eitelkeiten. Ohne Körper, Hülle und Fassade ziemlich unansehnlich. „Wahrlich, wir haben den Menschen in schönstem Ebenmaß erschaffen. Wirkt er dann aber Böses, so verwerfen wir ihn als den Niedrigsten der Niedrigen.“ (Heiliger Koran 95:5-6)

Postfeministischer Albtraum

Die Quoten für solche Werbeformate steigen genauso wie die Bewerberzahlen kontinuierlich. Der Zuschauer mag es, Charakterschwächen zu sehen, eingenommen vom wohligen, pharisäischen Gefühl,  nicht so zu sein wie die Entblößten in der Castingshow – denn dann fühlt er sich wohl in seinem eigenen Sumpf, die anderen sind schließlich noch schlimmer. Und Fleischbeschau ist der ideale Zusatz eines  gelungenen  Trashmenüs für den Geist am Abend. Das wissen die Macher und selektieren ihre Mädchen nach genau diesen Kriterien, ein bisschen Zickenkrieg kombiniert mit langen Beinen und viel Haut, so bekommt man alle vor die Mattscheibe. Dass völlig nebenbei eine ganze Generation junger Mädchen den „männlichen Blick“ einübt, sich an die Vermessung und Verdatung von Körpermaßen gewöhnt und so quasi en passant patriarchalische Strukturen internalisiert, wie die Medienwissenschaftlerin Tanja Thomas kritisiert, regt nicht mal Emanzipationseliteeinheiten noch wirklich auf. Schließlich haftete schon der PorNo Kampagne des Dinos Alice Schwarzer der antiquierte Geruch von Zensur und Prüderie an. Die postfeministische Frau von heute hat vollends verinnerlicht, dass ihr Körper ihr Kapital ist. Die Abwehr der jüngeren Generation gegen die realitätsfremde, männerfeindliche Paranoia des alten Radikalfeminismus ist ja schön und gut, aber wenn die Frau von heute nicht einmal bei Klassikern der Emanzipationsgeschichte einen Aufschrei loslässt und einfach nur  indifferent zusieht, dann belegt diese Laissez-Faire Haltung, dass sexistische Mythen sich mittlerweile so massiv ins Bewusstsein eingeschlungen haben, dass frau ihnen längst hörig ist und gerade deswegen zeitgleich naiv frönt, emanzipiert und frei zu sein. Der Frauenüberschuss in Steinmeier Kompetenzteam und eine Bundeskanzlerin reichen als vordergründiger Beweis für die Emanzipation der Frau. Castingshow hin oder her.

Die andere Schönheitskönigin

Oder man macht es wie in Saudi-Arabien, dort wurde jüngst die „moralische Schönheitskönigin“ gekürt, bei der man anhand von psychologischer, sozialer und kultureller Untersuchungen festzustellen glaubte, dass sie innere Schönheit besitze. Auch eine Idee,  wenngleich man darüber rätseln darf, wie innere Schönheit gemessen wird. Ist innere Schönheit so plakativ, dass man sie ausstellen kann? Die Menschenmasse scheint das zu lieben, was sie greifen kann, was sie sehen kann, was quantifizierbar ist und vor allem: was vorzeigbar ist. Der Mensch bleibt ein soziales Wesen, keine Frage – „Und jeder hat ein Ziel, nach dem er strebt; wetteifert daher miteinander in guten Werken“ (Heiliger Koran 2:149). Aber „wahre Glückseligkeit“  (20:131) ist unabhängig von der Anerkennung Außenstehender: „Genügt Allah nicht für Seinen Diener?“ (39:37)

Substitutionsdebatten

Komisch ist es ja schon. Wenn in Paris dieser Tage ein überdimensional großes Werbeplakat an fast jeder Metro-Station hängt, das eine nackte Frau zeigt, die mit Mühe ihre Scham bedeckt und Millionen Augen von Nutzern der öffentlichen Verkehrsmitteln keine Chance haben, diesem Blickfang auszuweichen,  dann nimmt man das stillschweigend hin. Debattiert wird stattdessen über ein Burkaverbot (siehe Kopftuch Spezial), da  man es nicht tolerieren kann, dass Frauen ihren Körper und ihr Gesicht bedecken. Zwar kann man tagelang in Paris unterwegs sein, ohne auf eine Burkaträgerin zu stoßen – und es vergeht im Sommer praktisch keine Minute, in der man in der Pariser Innenstadt nicht dazu genötigt wird, weibliche Geschlechtsmerkmale mehr oder weniger offensiv zu betrachten. Dennoch ist die verhüllte Frau Objekt der empörten Debatten und nicht die entblößte.

Das Selbstbestimmungsrecht der Frau

Noch komischer ist, dass auf der einen Seite mit dem Selbstbestimmungsrecht der Frau argumentiert wird: Wenn sich 16jährige freiwillig unter den voyeuristischen Blicken einer ganzen Fernsehnation ausziehen und in ein Rosenbett räkeln wie bei Germany´s next topmodel, dann tun sie das ja freiwillig, es zwingt sie doch keiner. „Mein Bauch gehört mir“, war schließlich die Kampfparole  der altvorderen Oberemanzipierten. Aber wenn Musliminnen ein Selbstbestimmungsrecht über ihren Kopf fordern, gilt das nur als Argument gegen die Verschleierung: Schließlich könnte durch die Erlaubnis, den Schleier in der Schule oder das Burkini im Schwimmbad zu tragen,  Druck ausgeübt werden auf diejenigen Musliminnen, die sich nicht verschleiern wollten (siehe Kopftuch-Spezial). Man wird den Eindruck nicht los, dass erstaunlich viele Männer für eine angebliche Frauenbefreiung kämpfen, wenn es um muslimische Verhüllung geht, auch wenn sie noch so freiwillig getragen wird.  Wen wundert es da, dass sich niemand bzw. kein Mann der armen Opfer des Modelbusiness annimmt. Da ist die Frau dann plötzlich ganz dem modernen Frauenbild gemäß selbst für sich verantwortlich. Mein Körper gehört schließlich mir, auch wenn ich noch so kopflos bin. Mann freut sich.

Arbeitsalltag im Modebusiness

Da hilft es auch nichts, dass die jüngst prämierte Dokumentation „Picture me“ einen Blick in die Abgründe des Modelbusiness wagt und entlarvt, dass sexuelle Übergriffe in der Modeindustrie an der Tagesordnung sind. Die meist männlichen Fotografen sind eben auch nur Menschen, so kann es schon hin und wieder mal vorkommen, dass eine 15jährige sich vor dem Fotoshooting erst ausziehen muss und hinterher vergewaltigt wird. Da kann Heidi Klum noch so euphemistisch darüber schwadronieren, wie selbstverständlich es sei, sich als Model vollständig zu entkleiden und entsetzt suggerieren,  jemand, der sich aus Schamgründen dabei anstellt, wie die eine oder andere Topmodel-Kandidatin, sei verklemmt und prüde. Genau diese offensiv verbreitete Einstellung führt dazu, dass sexuelle Übergriffe von Männern gegenüber Minderjährigen in der Modelbranche akzeptierter Arbeitsalltag sind – die Grenzen zwischen Arbeit, sexueller Belästigung und sexuellen Übergriffen sind fließend, sagt die Macherin des Film,  Sara Ziff, ein erfahrenes Model. Dass diese Erkenntnis als Skandal gefeiert wird und für Entrüstung sorgt, kann nur verwundern – was erwartet man denn? Sexuelle Übergriffe dürften nur die Spitze des Eisberges darstellen. Was in den Köpfen all der Männer passiert, deren Job darin besteht,  tagtäglich erotisch posierende Frauen fachmännisch zu begutachten, wird einfach  ausgeblendet. Sicher wird nicht jeder handgreiflich, aber was passiert in der Phantasie, wie sehr belastet das tausendmal-gesehen-haben die eigene Beziehung und das Liebesleben? Sind solche Männer völlig abgestumpft und unsensibel für jegliche weibliche Reize geworden oder ist die Erwartungshaltung ob der Omnipräsenz der immerschönen Mannequins ins Unermessliche gestiegen?  Zu meinen, die Männer der Branche seien erhaben über solche Gefühle ist mehr als nur naiv – es wird ganz offensichtlich darüber hinweg geheuchelt, denn wenn die Modebranche nicht von der potenten Wirkung der laszive posierenden Schönheitsgöttinen wissen würde, würde niemals soviel Kapital in das rentable Business gesteckt. 

Für eine neue Kultur der Lüste

Was für den professionellen Fotografen gilt, gilt in einer Zeit der allgegenwärtig reizüberflutenden Bilderwelten für jedermann. Die kontinuierliche Enttabuisierung  der Sexualität, ihre Dauerpräsenz in der Öffentlichkeit, in der Werbung und in den Medien hat natürlich einen Einfluss auf das Liebesleben der Menschen – ihnen vergeht regelrecht die Lust.  Sexualwissenschaftler wie Peter Fiedler gehen soweit, Tabus zu fordern, da sie eine „notwendige Voraussetzung für eine Kultur der Lüste“ seien. Diejenigen, die sich, wie der  Koran beschreibt  ihr „Gelüst zum Gott“ nehmen (45:24) sind am Ende ob des Overkills nicht einmal mehr fähig, wirkliche Lust zu empfinden. Mit Burkatragenden Frauen wäre das wohl nicht passiert.

Innere Freiheit

Das allzu natürliche Bedürfnis, nackte Haut zu bedecken gilt als prüde, verklemmt, hoffnungslos anachronistisch  –  und das im günstigsten Falle. In der Regel folgt der Vorwurf nicht integrationswillig zu sein, fanatisch und unterdrückt obendrein. Freiheit bedeutet aber auch, frei zu sein vom Blick der Anderen, von  einem zudringlichen, sexualisierenden Starren. Frei zu sein, sich anhand von Äußerlichkeiten zu messen und bewerten zu lassen. Nacktheit kann eben auch ein Zeichen von Unterdrückung sein, von billiger Käuflichkeit, die davon zeugt, wie wenig man ein Gefühl für seine eigene Würde besitzt. Weibliche Nacktheit versklavt sich dem männlichen Blick. Wer das Recht auf Nacktheit verteidigt, der darf dem Recht auf Verhüllung nicht abschwören. So manche scheinbare Göttin ist nichts anderes als eine Sklavin und umgekehrt.

Die versklavte Göttin by Maryam Hueb