Jede kopftuchtragende Frau erlebt alltäglich Angriffe. Erlebt ein Kippaträger dasselbe, schreit das ganze Land. Das ist inkonsequent.

Menschen mit Kippa werden in Deutschland angegriffen. Das ist furchtbar und es ist wichtig, das zu verurteilen. Das Land hat schließlich eine besondere historische Verantwortung. Was viele dabei aber vergessen: Es werden täglich Menschen aufgrund ihres vermeintlichen Andersseins oder ihrer Religion angegriffen, ohne dass jemand auch nur aufschauen würde.

Es geht mir nicht darum, aufzurechnen oder zu vergleichen. Ich möchte auch nicht sagen, uns Muslimen gehe es schlechter. Jede kopftuchtragende Frau erlebt Pöbeleien und Angriffe als Teil ihres Alltags: den noch warmen Kaffee, der einem absichtlich auf die weißen Sneaker geschüttet wird, die darauffolgenden Schimpfwörter, die dummen Sprüche, das Geschubse, die Blicke, die Job- und Wohnungsabsagen. Daran haben wir uns gewöhnt. Das gehört zu unserem Leben in Deutschland und wir wollen uns nicht als Opfer inszenieren, schließlich gibt es auch muslimische Rassisten.

Aber mich stört die tausendste Diskussion darüber, ob wir Muslime zu diesem Land gehören und ob man das Kopftuch nicht doch irgendwie verbieten kann. Wenn schon nicht für Lehrerinnen, dann wenigstens für Schülerinnen. Ja, man soll die Kippa tragen dürfen. Man kann jedoch nicht parallel zu dieser Forderung wochenlang über ein Verbot des Kopftuchs diskutieren, ohne dass der Eindruck der Heuchelei entsteht. Diese Inkonsequenz ist eines Rechtsstaates nicht würdig. Kopftuch, Kippa, Kreuz, Turban: Ein Verbot müsste alle betreffen.

Ich finde es auch nicht gut, wenn kleinen Kindern das Kopftuch aufgenötigt wird. Doch ausgerechnet dieses Randphänomen, zu dem es nicht mal Zahlen gibt, soll zu einer Sexualisierung von Kindern führen? In Zeiten von frauenverachtenden Castingshows, sexualisierender Mode, geschlechterspezifischem Spielzeug und einer in Teilen sexistischen Populärkultur spricht niemand über die nachgewiesenen Auswirkungen auf die Kinderzimmer und niemand fordert ein Verbot dieser Massenphänomene. Stattdessen lassen wir uns über bereits diskriminierte Minderheiten aus.

Eine ähnliche inkonsequente Bewertung zeigt sich in der Debatte um die Beschneidung von Jungen. Als das Kölner Landgericht die Beschneidung eines muslimischen Jungen 2012 als Körperverletzung wertete, brach eine Debatte über die vermeintliche Rückständigkeit des Islam aus. Als jedoch auch jüdische Verbände Bedenken anmeldeten, erließ der Bundestag im Eiltempo ein neues Gesetz, das den Eingriff ausdrücklich erlaubt.

Wenn wir uns über antisemitische Hetze aufregen, dann bitte auch über die antimuslimische und sexistische. Dann erst sind wir glaubwürdig. Erst dann haben wir eine Chance, die Wurzel jenes Denkens zu bekämpfen, das menschenverachtendes Verhalten hervorruft. Mit Fairness und Gerechtigkeit für alle bewirken wir mehr als mit einseitigen Verboten, die Minderheiten ausgrenzen.

Die Lehre, die wir aus dem Holocaust ziehen, kann nicht lauten, dass sich das Nie wieder nur auf eine bestimmte Gruppe von Menschen bezieht. Sie muss lauten: Nie wieder wollen wir Menschen ausgrenzen, die anders sind als wir oder eine andere Religion haben als wir.

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