Interview mit Anja Hilscher, Autorin des kürzlich erschienen Buches „Imageproblem. Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt”.

Muslimische Verbände kritisieren Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) für seine Plakataktion gegen eine islamistische Radikalisierung: Sie stelle Muslime unter Generalverdacht. Teilen Sie die Empörung? Oder gibt es unter Muslimen nicht auch eine Tendenz, sich als Opfer stilisieren zu wollen? 

Das „chronische Beleidigtsein“ der Muslime, wie der Spötter Henryk M. Broder es nennt, ist sicher ein Problem. Es hat seine Vorgeschichte und ist verständlich. Es führt aber de facto  zu nichts anderem als einer Verhärtung der Fronten. Nichtmuslime haben leider  oft den Eindruck, Muslime hätten kein Interesse an der Bekämpfung des militanten Dschihadismus oder würden sich nicht bedingungslos davon distanzieren. Das ist definitiv  nicht richtig. Tatsache ist, dass die weit überwiegende Mehrheit der Muslime sich nicht nur vehement davon abgrenzt und dieses Phänomen auch bekämpft. Vielmehr ist der Dschihadismus auch für uns Muslime eine Bedrohung! Nicht nur,  weil er das Image unserer Religion völlig ramponiert. Es ist eine Bedrohung ganz existenzieller Art. Die Opfer der Terroranschläge sind überwiegend selbst Muslime. Diese Selbstmordattentäter sind nicht unsere Glaubensbrüder, es sind unsere Feinde.

Denken Sie nicht, dass die meisten Menschen sehr wohl in der Lage sind zwischen einem Muslim und einem Islamisten zu differenzieren?

Nein, denke ich nicht. Zumal schon in den Medien  die Begriffe so durcheinandergeworfen werden. Was ist denn ein Islamist? Man meint, das sei ein Synonym für „böser muslimischer Bombenwerfer“. Völlig falsch! Selbst innerhalb der Islamisten gibt es riesige Differenzen. Aber wer weiß das schon? Wenn man sich mit Nichtmuslimen unterhält, merkt man, wie da ein Begriffswirrwarr herrscht: Mohammedaner, Moslem, Muslim, Islam, Islamisten, Salafisten. Die Verwirrung führt so weit, dass oft sogar Jeziden oder Sikhs, wie kürzlich bei einem Attentat in den USA, mit Muslimen verwechselt werden. Das sind nur wirklich ganz andere Glaubensrichtungen.

Was meinen Sie, welches Image des Islams durch die Plakate vermittelt wird?

In jedem Fall werden eher schlichte Denkschemata aktiviert. Aus der Werbepsychologie wissen wir: Es bleibt immer nur sehr wenig Information hängen. Bilder weit besser als Text. Was sehen wir da nun, im Vorübergehen? Einen kleinen „Türken“, eine „Kopftuchfrau“ auf einem Fahndungsplakat. Was assoziiert man damit? Die Frage kann wohl jeder selbst beantworten: Ein Terrorattentat! Und selbst, wenn man die Überschrift „Vermisst“ noch zur Kenntnis nimmt, wird Otto Normalverbraucher vermutlich denken: „Da ist schon wieder so eine muslimische ‚Fatima’ Opfer eines Ehrenmordes geworden!“ Den Text durchlesen und begreifen – das werden wohl die wenigsten.

Ist es nicht eine Bagatellisierung von Problemen, wenn Sie lediglich von einem „Imageproblem“ des Islams sprechen? Das suggeriert, das Wesen des Islams sei an sich unproblematisch, der Islam verkaufe sich lediglich schlecht. Es gibt eine ganz real existierende Frauenunterdrückung und Diskriminierung von Minderheiten in islamischen Ländern.

Selbstverständlich gibt es die. Es ist ganz entsetzlich, was im Namen des Islams gegenwärtig geschieht. Aber wir müssen begreifen: Es gibt zum Teil eine riesige Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. Der Koran hat im Islam einen anderen Stellenwert als die Bibel im Christentum. Er ist weit verbindlicher, weil er als wortwörtlich offenbart gilt. Der Koran ist der Maßstab, an dem wir messen müssen. Manche Dinge mögen verschieden interpretierbar sein, viele aber auch nicht. Wenn im Koran in Sure 2 rundheraus steht: „Keinerlei Zwang im Glauben!“ und „Lass den gläubig sein, der will, und den ungläubig sein, der will“, dann ist das „Islam“ und nicht das Handeln irgendwelcher Fanatiker, die sich daran nicht halten. Wenn im Koran steht, Gott habe „Liebe und Zärtlichkeit“ zwischen Männer und Frauen gesetzt, und der Prophet dies durch sein Verhalten bestätigt und sagte: „Frauen sind die Zwillingshälften der Männer“, dann ist das „Islam“. Und nicht die Unsitten irgendwelcher Patriarchen, die Frauen misshandeln und verschachern wie ein Kamel. Man muss da differenzieren – und man kann es auch!

Wenn der Islam Ihrer Meinung nach ein Imageproblem hat, wie müsste eine Kampagne aussehen, die das Image dieser Weltreligion im Westen aufpolieren könnte?

Ich glaube nicht an Kampagnen, und natürlich ist auch das Wort „Imageproblem“ leicht ironisch gemeint. Eine gezielte PR-Kampagne, wie bei der Vermarktung eines neuen rosa Überraschungseis mag kurzfristig Erfolge erzielen. Langfristig kann ein Umdenken nur durch eins  herbeigeführt werden: Durch eine zunehmende Präsenz kreativer, lebensfroher, aufgeschlossener Muslime, die die Gesellschaft mit gestalten wollen. Sie müssen zugleich gläubig als auch mutig genug sein, religiös ihren individuellen Weg zu gehen. – Um ihre nun folgende Frage gleich vorwegzunehmen: Nein, das ist kein Widerspruch! Warum nicht, können Sie in meinem Buch nachlesen!

Wäre der Islam ein Produkt, welchen Lifestyle würde er Ihrem Verständnis nach verkörpern?

Einen „neo-konservativen“. Und damit würde er voll im Trend liegen, denn bekanntlich setzen junge Menschen heute wieder auf Traditionen, Treue und Familienleben. Von daher täten wir sehr gut daran, die Interpretationshoheit über den Islam nicht den Hardlinern zu überlassen, die möglicherweise die Bedürfnisse der jungen Leute gut bedienen. Denn ich sagte ja „neo“. Da sind Bedürfnisse nach  Werten, Gemeinschaft, einer Ordnung im Leben. Diese dürfen aber auf keinen Fall zu einem reaktionären Weltbild führen. Wir dürfen nicht zurück zu autoritärer Erziehung, Zucht und Ordnung, blindem Gehorsam, Theokratie und  einer patriarchalen Gesellschaftsordnung! Bitte nicht wieder in ein Extrem verfallen – Extremismus ist überaus unislamisch. Stattdessen müssen wir unser Gewissen und unseren Verstand einschalten – das wäre islamisch.

Sie sind selbst vor Jahrzehnten zum Islam konvertiert, welche Lebenseinstellung macht empfänglich für diese Religion?

Dem Klischee zufolge natürlich ein allgemeiner Überdruss in Bezug auf die Pluralität. Desorientierung, Mangel an Geborgenheit. Denn der Islam bietet bekanntlich eine Ordnung, viele Gebote und ein gemütliches Kollektiv.  So viel zum Klischee. Zum Teil mag etwas dran sein. Allerdings sind gläubige Muslime eine chronisch unterschätzte Spezies. Es mag sein, dass einige, besonders, wenn sie den Islam „neu entdeckt“ haben, dazu neigen, sich einzuigeln und allzu starr Gebote zu befolgen. Ich habe jedoch beobachtet, dass so eine psychische und intellektuelle Regression meist nur vorübergehend ist. Sehen Sie mal den ehemaligen Cat Stevens an. Immerhin singt der nun auch wieder – wenn er auch nicht gerade  der progressive Moslem schlechthin sein mag. Wer einmal Geschmack am eigenständigen Suchen der Wahrheit gefunden hat – sowohl mit Kopf als auch mit Herz – der kommt auf Dauer nicht davon los. Vorgefertigte und nachgebetete Antworten schmecken sehr schal, verglichen mit den selbst gefundenen!

Der Islam hatte historisch gesehen schon immer ein Imageproblem im Westen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Zum einen natürlich an der Furcht vor der Eroberung – physisch, aber vielleicht auch geistig. Es ist faszinierend, was für eine immense Rufmordkampagne der Islam im Laufe der Jahrhunderte erlebt hat. Ein Großteil davon bleibt bekanntlich hängen. Z.B. die Behauptung, die Frau habe im Islam keine Seele – das ist durch unzählige Koranverse widerlegbar. In Wirklichkeit handelt es sich um eine These, die unter christlichen Kirchenvätern diskutiert wurde.

Ein weiteres großes Problem besteht darin, dass wir dazu neigen, unsere eigenen Maßstäbe und Vorstellungen auf den Islam zu übertragen. Das führt immer wieder zu fürchterlichen Missverständnissen. Nur ein Beispiel: Muslimische Frauen wirken ja optisch oft wie Nonnen. Das ist aber eine völlig schiefe Parallele! Erstens gibt es im Islam weder ein Mönchstum noch eine negative Einstellung zur Sexualität. Zweitens steht die Kopfbedeckung von Musliminnen keineswegs für Unterdrückung und Zweitrangigkeit, denn muslimische Männer bedecken, ebenso wie die Juden, ihren Kopf ja auch! Und so weiter.

Es gab aber auch einen regelrechten Orienthype unter deutschen Intellektuellen im 18.Jahrhundert. Was hat der Islam damals richtig gemacht? Was hat damals am Islam fasziniert? Oder waren das Projektionen?

Natürlich, zum Teil waren das Projektionen, denn oft hatte man ja gar keinen realen Kontakt und Hintergrundwissen. Goethe dagegen schien wirklich ziemlich viel verstanden zu haben – von dem könnte manch ein heutiger Islamkritiker noch viel lernen. Fasziniert hat ihn vieles, was wirklich grundlegend ist für den Islam. Die große Naturnähe etwa. Naturphänomene, auch die Natur in uns, gelten als ein „Ayat“, also eine Manifestation Gottes, ebenso heilig wie die Koranverse, die ja auch „Ayats“ genannt werden. Weiterhin war Goethe von der islamischen Diskussionskultur begeistert. Der Islam war bis zum Beginn der Moderne und der Entstehung der rigiden Strömungen sehr tolerant. So wie den Buddhisten und Taoisten war auch Muslimen klar, dass das Leben stetig fließt. Dass jede Medaille zwei Seiten hat. Dass eine anscheinende Widersprüchlichkeit nicht heißt, dass eine These falsch sein muss, sondern vielmehr, dass unsere Erkenntnis beschränkt ist. Das führte zu sehr fruchtbaren Diskussionen, zu sehr großer Meinungsvielfalt. Meinungsvielfalt galt nicht als bedrohlich – ganz im Gegenteil. Sie wurde als eine „Barmherzigkeit Gottes“ betrachtet. Ich empfehle dazu das Buch „Die Kultur der Ambiguität“ des Islamwissenschaftlers Thomas Bauer.

Warum glauben Sie, dass das Image, das Sie vom Islam transportieren möchten, sinnvoller ist als das Islambild, das die Kampagne des Innenministers möglicherweise vermittelt?

Es ist einfach eine Frage des pädagogischen Ansatzes: Wollen wir mit Drohkulissen arbeiten, oder vielleicht besser ressourcenorientiert? Und durch Aufzeigen positiver Alternativen? Die Erfahrung lehrt, dass Letzteres effektiver ist. Wenn man den Muslimen klar macht, dass eine „westliche“ und eine „islamische“ Identität kein Widerspruch in sich sein muss, erreichen wir wahrscheinlich viel. Jedenfalls  mehr, als wenn wir sie stigmatisieren und damit noch weiter  in eine Oppositionshaltung treiben.

Die Fragen stellte Khola Maryam Hübsch

„Imageproblem: Das Bild vom bösen Islam und meine bunte muslimische Welt“
Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
Verlag: Gütersloher Verlagshaus (23. April 2012)
ISBN-13: 978-3579065762