Es ist wieder einmal so weit, die Klimavergifter machen Front. Mit geradezu spießiger Zuverlässigkeit poppt in Deutschland eine Neuauflage der Islamdebatte auf, deren Protagonisten im Kern nur die eine unausgesprochene Endlösung kennen: Der Islam gehört abgeschafft.

Und zwar nicht nur die extreme Spielart und nicht nur aus Deutschland – nein er gehört generell abgeschafft, weltweit und als Religion insgesamt. Einen anderen Schluss lassen die Thesen der derzeitigen Bestseller Autoren von Hamed Abdel-Samad bis Akfi Princci und Thilo Sarrazin nicht zu, wenn man ihre Islamkritik konsequent zu Ende denkt. Denn wo auf der einen Seite noch gönnerhaft betont wird, die Mehrheit der Muslime sei friedlich und nur eine Minderheit extremistisch, wird gleichzeitig die Wurzel jedes Problems in der Religion des Islams gesehen. Der faschistoide Charakter, so Abdel-Samad, sei bereits im Ur-Islam angelegt und nicht erst eine Ausgeburt des radikalen Islam der Neuzeit. Damit offenbart Abdel-Samad dieselbe undifferenzierte Denkweise, die er den Islamisten zum Vorwurf macht, denn er teilt ihr Islambild. Ja, er interpretiert die frühislamischen Quellen ebenso wie die Radikalen und wählt unter der Fülle an Faszinierendem, das der Koran zu bieten hat, ausgerechnet jene Stellen aus, die bei oberflächlicher Betrachtung und Unkenntnis über die historischen Hintergründe für Irritationen sorgen können. Für ein Störfeuer reicht es allemal. Das Süppchen, das er darauf kocht, schmeckt allerdings reichlich abgestanden.

Es gehörte seit jeher zur antiislamischen Propaganda, den Islam als rückständige, gewaltbereite und frauenfeindliche Religion darzustellen, um sich vor diesem Hintergrund seiner eigenen Überlegenheit versichern zu können. Wir jungen, deutschen Muslime sind es leid, diese uralte Kriegsrhetorik unter dem Deckmantel des „Man wird ja wohl noch sagen dürfens“ vorgesetzt zu bekommen. Wir sind es leid, auf jeder öffentlichen Veranstaltung zum Thema Islam vorwurfsvoll gefragt zu werden, warum wir uns nicht distanzieren von den Ehrenmördern, die laut Bild-Zeitung einen „kulturellen Rabatt“ erhalten, von den Mördern der Kriegsfotografin Anja Niedringhaus und von straffälligen Migranten, die „v.a. Muslime sind“ wie die Polizistin Tania Kambouri es jüngst beklagte.  Sie haben mit uns und der islamischen Religion genau so wenig zu tun wie das Christentum mit dem NSU und dem Fall Edathy. Doch die moralischen Vergehen der Migranten, so wird suggeriert, hängen zusammen mit ihrer Religion. 9/11 hatte den Paradigmenwechsel eingeleitet: Es ist nun nicht mehr der Ausländer, der stört, es ist der Muslim, es ist seine Religion. Die „Muslimifizierung“ von bildungsbezogenen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen, die oft aus einer Migrationsgeschichte hervorgehen, ist en vogue und das Konstruieren von Scheinkausalitäten funktioniert besser denn je. Wenn Bundesminister Alexander Dobrindt in einer Kampfesrede behauptete:  „Diejenigen die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, agitieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben“ – dann wird daraus eine Lachnummer bei Harald Schmidt. Zu plump war diese Kausalkette, doch von Abdel-Samad bis Sarrazin bedient man sich genau solcher Mechanismen, um das Bedrohungspotential des Islam zu inszenieren.  Was soll diese defizitorientierte Sicht auf den Muslim bringen? Man kann den Islam nicht abschalten wie ein Atomkraftwerk. Es bringt überhaupt nichts zu behaupten, bereits der Prophet Muhammad habe die „Saat der Intoleranz in das Herz des Islams eingepflanzt“, wie Abdel-Samad meint. Gerade wenn Intoleranz und Antisemitismus ein Problem unter muslimischen Migranten sein sollte, wäre es wichtig, islamische Quellen zu kennen, die das Gegenteil lehren – falls man meint, die Religion sei ein moralischer Maßstab für besagte Jugendliche.

Gibt es nicht unzählige, gut dokumentierte Begebenheiten aus der frühislamischen Geschichte, in denen der Prophet seinen Feinden vergab und für seine erbittertsten Gegner bei Gott um Vergebung flehte? Sagte der Prophet Muhammad nicht auch: „Wer einem Juden oder Christen Unrecht tut, dem werde ich am Tag des Jüngsten Gerichts als Ankläger entgegentreten.“ Sagte der Prophet nicht, dass der größte Dschihad der Kampf gegen das eigene Ego sei? Was ist so schwierig daran, den immer wieder zitierten Koranvers « Tötet die Ungläubigen » in seinem textuellen und historischen Kontext zu verorten? Nach einer langen, grausamen Verfolgungsphase, der die Frühmuslime ausgesetzt waren, beginnt die islamische Zeitrechnung mit der Auswanderung der Muslime, die Asyl in Medina suchten, wo sie abermals angegriffen wurden. Erst dann erlaubt der Koran den Muslimen, sich zu verteidigen: « Jedoch trifft kein Tadel jene, die sich verteidigen, nachdem ihnen Unrecht widerfuhr. Tadel trifft nur solche, die den Menschen Unrecht zufügen und auf Erden freveln ohne Rechtfertigung. Ihnen wird schmerzliche Strafe. Und fürwahr, wer geduldig ist und vergibt – das ist gewiss Zeichen eines starken Geistes.“ (Sure 42:41-44) Wer daraus einen allgemeinen Aufruf zum Mord an alle Andersgläubigen ableitet, der ignoriert nicht nur wesentliche Passagen des Korans, nein, der übernimmt die Interpretation muslimischer Fanatiker und macht sich ihnen zum Bruder im Geiste. Gleiches gilt für Abdel-Samads skurriler Beschreibung der islamischen Jenseitsvorstellung, für ihn eine „Pornotopia“, die allein der Befriedigung des männlichen Triebes diene.

Doch wer das Paradies als einen materiellen Ort begreift, an dem irdische Lüste gestillt werden, „der hat kein einziges Wort des Heiligen Korans verstanden“, schreibt der islamische Reformer und Mahdi Mirza Ghulam Ahmad. Wer seine „Pornobrille“ nicht absetzt, der möchte die mystische Dimension der Religion nicht verstehen, der sucht lediglich Bestätigung für seine Krawallthesen. Es sind Thesen, die den Islam als Ursache aller Probleme ausmachen und damit die Situation der Muslime in Deutschland verschlimmern, weil sie rechtsradikalem Gedankengut in die Hände spielen. Wenn Anschläge auf Moscheen zunehmen, wenn Muslime auf dem Arbeitsmarkt erwiesenermaßen diskriminiert werden und besagte „Islamkritiker“ eine Stimmung schüren, die eine Begegnung auf Augenhöhe für 4 Millionen Muslime immer schwieriger werden lässt, sollte darüber nachgedachte werden, ob der islamische Extremismus zumindest für Deutschland nicht das kleinere Problem ist. Denn wenn dieser mit dem Islam an sich gleichgesetzt wird,  werden Muslime in ihrer Identität auf eine Weise angegriffen, die die Integration tatsächlich erschwert. Was wirklich helfen würde? Die Einsicht, dass unsere religionspolitische Ordnung sich angesichts der Pluralisierung unseres Landes verändern muss. Wenn es islamischen Religionsunterricht und eine Islamlehrer Ausbildung gibt, hilft das ein Islambild jenseits der Scharfmacherversion zu vermitteln. So lange das Kopftuch jedoch verboten bleibt, kann der Bedarf an islamischen Religionslehrern nicht gedeckt werden. Es gibt zu wenige Lehrer, die mit einem guten Islamunterricht dazu beitragen könnten, dass die Identitätsbildung und Integration junger Muslime gelingt und Extremisten beider Lager keine Chance haben. 90 Prozent der Studentinnen des Studiengangs, der Lehrer für den islamischen Religionsunterricht ausbildet, tragen ein Kopftuch und können anschließend nicht ins Berufsleben einsteigen. Sie sind ein Sinnbild für die Konsequenzen der Islamdebatten: Ressourcen bleiben ungenutzt und werden vergeudet, weil der Islam als Religion als störend empfunden wird. Die Klimavergifter verschärfen das Problem, sie lösen es nicht.