Hidschab, Tschador, Niqab oder Burka: In den Zeitungen finden wir täglich kleine Stilkunden der Verschleierungsmöglichkeiten. Nicht zufällig: Denn ab morgen treffen sich die Länder-Innenminister der Union, um über mehr Sicherheit in Deutschland zu beraten. Auch ein Burka-Verbot steht in Berlin auf der Tagesordnung.

Frau Hübsch, die Debatte wird gerade sehr hitzig geführt. Auch in der Union ist das Thema durchaus umstritten. Wie denken Sie über die Burka – sind Sie dafür oder dagegen?

Khola Maryam Hübsch: Ich halte das Burka-Verbot für verfassungswidrig. Ich glaube, das ist auch gar nicht so umstritten, denn die meisten Verfassungsrechtler sind sich einig, dass das mit unserem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Deswegen wundert es mich, dass wir trotzdem alle paar Monate über ein allgemeines Burka-Verbot sprechen. Ein partielles Verbot in bestimmten Kontexten, das ist vielleicht denkbar, aber ein allgemeines Verbot wird nicht durchkommen.

Wofür steht die Burka in den Diskussionen ihrer Meinung nach?

Hübsch: Das ist Symbolpolitik. Weil es ein Unbehagen ist, wenn man die Verschleierung bei vielen sieht. Es trifft das ästhetische Empfinden und es ist auch eine Angst vor einer gelebten Religiosität, mit der man nichts anfangen kann. Es ist ein verstörender Anblick.

Es gibt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das besagt, dass ein Verbot verfassungswidrig wäre. Und trotzdem diskutieren wir darüber. Es hat viel damit zu tun, dass man eine bestimmte Klientel damit erreichen möchte. Es ist machtpolitisch ein Zurechtweisen einer bestimmten Minderheit, die man hier eigentlich nicht haben möchte. Und da kommen solche Vorschläge, dass man ihnen die Kleidung verbietet.

Der Anblick wirkt verstörend, weil man vielleicht die Mimik der Frau, die unter dieser Burka ist, nicht ablesen kann. Eine Kommunikation im öffentlichen Raum wird gänzlich ausgeschlossen. Soweit ich weiß, gibt es auch keine theologische Grundlage für die Ganzkörperverschleierung. Also muss es einen anderen Grund geben. Warum wollen Frauen ihr Gesicht, ihren Körper verschleiern?

Hübsch: Es ist gar nicht so relevant, ob es einen theologischen Grund dafür gibt oder nicht. Man kann die Burka nicht aus dem Koran ableiten, aber verfassungsrechtlich relevant ist, wie die Frauen das für sich definieren. Wenn sie es aus religiösen Gründen tragen oder wenn sie das Bedürfnis haben, das tragen zu wollen, dann fällt das unter die Religionsfreiheit, unter den Artikel vier. Und da haben wir nicht das Recht darüber zu urteilen, ob sie das tragen dürfen oder nicht. Es gibt unterschiedliche Gründe, warum sie es tragen. Es gibt viele junge Frauen, gerade in Frankreich, die zum Islam konvertiert sind und die sich dann für den Niqab entschieden haben. In Interviews sagen sie, dass sie es selbstbestimmt tragen, dass sie keine Männer dazu zwingen. Auch das ist ein Teil der Realität, den man akzeptieren muss.

Bundesinnenminister de Maizière sagt über die Burka: „Man kann nicht alles verbieten, was man ablehnt.“ Das klingt doch gar nicht so abwegig.

Hübsch: Das kann ich voll unterstreichen. Das Recht auf Religionsfreiheit kann nur eingeschränkt werden, wenn andere Verfassungsgüter tangiert werden. Die zentrale Frage wäre dann: Welche Rechte und Freiheiten Dritter werden beim Anblick einer vollverschleierten Frau wirklich verletzt? Darauf gibt es keine plausible Antwort. Deswegen ist auch ein allgemeines Burka-Verbot nicht denkbar und auch nicht vernünftig, weil es unseren freiheitlichen Werten widerspricht. Was ist das für eine Freiheit, wenn der Einzelne nicht entscheiden darf, was er anziehen möchte? Das zerstört die Werte einer freien Gesellschaft. Wir als liberale Gesellschaft sollten die paar hundert Hiqab-Trägerinnen, die es in Deutschland geben mag, aushalten können.

Nun wird verschleierten Frauen unterstellt, dass sie das nicht freiwillig machen. Es gibt Studien, die das Gegenteil belegen. Nehmen wir an, eine Frau trägt die Burka tatsächlich unfreiwillig. Hilft ihr dann das gesetzliche Verbot? Sie wird deshalb die Burka kaum ablegen dürfen und wird sich eher zurückziehen in die Privatheit. Das ist doch nicht förderlich für eine Integration?

Hübsch: Richtig. Das gilt auch für den Burkini. Die Argumentation ist oft, dass diese Kleidungsstücke die Integration verhindern würden – aber diese Frauen gehen dann gar nicht mehr schwimmen. Ist der Burkini nicht ein Kleidungsstück, der dazu beiträgt, dass die Frauen sich integrieren, weil sie sich an bestimmten Orten aufhalten können? Diejenigen Frauen, die zu einem Kleidungsstück gezwungen werden, leiden erst recht darunter, weil sie dann nur noch zu Hause sind und sich nicht mehr im öffentlichen Raum bewegen können. Das ist also völlig kontraproduktiv. Denjenigen, die ein Burka-Verbot fordern, geht es nicht darum, muslimische Frauen zu befreien, sondern es kommt einem Unbehagen entgegen, das ganz viele Menschen haben, weil sie sich sehr stark von diesem Kleidungsstück gestört fühlen. Es ist eher Klientelpolitik, als dass es eine altruistische Maßnahme für die Rechte muslimischer Frauen wäre.

Die Union streitet sich, die AfD beobachtet still und leise, nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Ist das eine, im wahrsten Sinne, verschleierte Debatte, die gerade geführt wird. Steckt nicht etwas ganz anderes dahinter?

Hübsch: Im Moment wird es im Zusammenhang mit der Sicherheitspolitik diskutiert – da kann man nur den Kopf schütteln. Gab es schon einmal einen Attentäter, der unter der Burka sein Verbrechen begangen hat? Hat es in Frankreich etwas gebracht, dass es dort ein Burka-Verbot gibt? Es gab auch nach diesem Burka-Verbot terroristische Anschläge. Es gibt offensichtlich keinen Zusammenhang. Man kann das Ganze nur noch skurril finden, dass wir so intensiv darüber diskutieren. Man möchte der Bevölkerung ein Stück weit entgegenkommen, man möchte suggerieren, dass man diese Ängste ernst nimmt, aber rational gesehen ergibt es keinen Sinn.

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