Wie wir wissen, ist es für Islamthemen nicht unüblich, dass aus Provinzpossen schnell mal ein bundesweit diskutierter Skandal wird. Klientelpolitik sei Dank. Es hilft also alles nichts, da müssen wir durch. Und da ich genau weiß, dass TV-Talks in der Regel nicht die beste Plattform bieten, um Missverständnisse aus dem Weg zu räumen, sichere ich mich sozusagen ab und erkläre vorab meine Position zum weltbewegenden Thema: Händeschütteln – ja oder nein?

Heute darf ich bei Stern-TV mit der CDU-Vize Julia Klöckner diskutieren und es wird, wie auch schon in dieser Phoenix-Runde unter anderem ums Händeschütteln gehen. Ein Imam hatte es tatsächlich gewagt, Frau Klöckner mitzuteilen, er werde ihr nicht die Hand geben.

Man könnte es sich als Handverweigernder Muslim nun einfach machen und auf orthodoxe Rabbiner verweisen, die Frauen auch nicht die Hand geben oder auf die no-hands Bewegung, die dringend empfiehlt die Unsitte des Händeschüttelns zu vermeiden – das habe nichts mit Unhöflichkeit zu tun, sondern sei schlicht umsichtig, schließlich werden weltweit 80 Prozent aller Infektionskrankheiten über das Händeschütteln übertragen.

Das wäre jedoch Nebelkerzen werfen, denn Muslime geben anderen Menschen ja sehr wohl die Hand, es entspricht aber der Praxis des Prophetensaw Mitgliedern des anderen Geschlechtes nicht die Hand zu geben. Auch Frauen geben Männern nicht die Hand. Der Körperkontakt zwischen Männern und Frauen, die nicht miteinander verwandt sind, ist im Islam unüblich. Man kann es übertrieben finden, das Händeschütteln als routinierte kulturelle Praxis zu vermeiden, die meist ohne jeden Hintergedanken vollzogen wird. Vielleicht unterschätzen wir aber auch die Macht der Berührung, denn Studien zeigen, wie bereits ein einfacher physische Kontakt durch das andere Geschlecht – ein Anfassen der Schulter oder ein Händeschütteln – zu einer höheren Risikobereitschaft führt. Es gibt sogar Untersuchungen, die belegen, dass Flirtversuche nach einem einfachen Hautkontakt häufiger erfolgreich sind und das Händeschütteln unbewusst dazu dient, Geruchsstoffe auszutauschen, die bei der Partnerwahl eine erhebliche Rolle spielen. Möglicherweise sprächen also eine Reihe von physiologisch-psychologische Gründen dafür, das Händeschütteln zwischen den Geschlechtern nicht unbedingt zu forcieren. Deutlich sollte in jedem Fall werden: Mit der religiösen Tradition ist keine Wertung der Geschlechter verbunden und sie hat ganz sicher nichts mit einer angenommenen „Unreinheit“ der Frau zu tun. Es mag Muslime geben, die solche skurrilen Positionen vertreten, mit islamischen Quellen lassen sich diese Deutungen bei sachkundiger Exegese nicht erklären*.

Das Händeschütteln aber ist kein koranisches Gebot und stellt keine Verpflichtung da. Das heißt es gibt einen gewissen Spielraum, was die Umsetzung angeht. Generell gilt im Islam der Grundsatz, bei unvermeidbaren Schaden den geringeren zu wählen. Wenn ich meinem Gegenüber vor den Kopf stoße und Gefahr laufe, ihn zu verletzten ist das islamisch gesehen sicher ein größeres Vergehen, als einer religiösen Tradition nicht zu folgen. Ich muss also abwägen. Es gibt Situationen, in denen man sich rechtzeitig erklären kann und ein gewisses kosmopolitisches Verständnis vorhanden ist, so dass ein freundlicher Hinweis und ein Lächeln das Händeschütteln ersetzt. Wenn der Chinese rülpst, dann empört sich der kulturell versierte Weltbürger nicht, denn er weiß, dass sich hier jemand für das gute Essen bedankt. Wenn Frau Klöckner also über den verweigerten Handschlag brüskiert ist, dann vor allem deswegen, weil sie darin etwas sieht, das nicht gemeint ist. Es handelt sich ganz sicher nicht um einen Akt zur Herabsetzung der Frau. Ein klassisches kulturelles Missverständnis also.

Der Vergleich hinkt allerdings insofern, als dass rülpsende Chinesen in Deutschland sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie hätten keine Manieren. Müssen sich Muslime also in ihrem eigenen Interesse an die Gepflogenheiten des Landes anpassen?

Anderseits praktizieren die rülpsenden Chinesen eine kulturelle Tradition, Muslime dagegen orientieren sich an ihrer Religion. Das ist ein großer Unterschied. In Deutschland gibt es keine Händeschüttel-Paragrafen, aber sehr wohl die Glaubens- und Gewissensfreiheit. Solange mein Handeln dem Grundgesetzt nicht widerspricht, ist es mein gesetzlich verbrieftes Recht, mein „gesamtes Verhalten nach dem Glauben auszurichten“ (Artikel 4). Das eine oder andere wird meinen Mitmenschen, wird der Mehrheitsgesellschaft nicht gefallen, wird als Zumutung wahrgenommen werden. Aber genau das macht die Freiheit in unserem Land aus: Dass der Staat uns nicht dazu zwingen kann unser innerstes zu verleugnen, so lange wir nicht gegen geltendes Gesetz verstoßen.

Man darf nicht vergessen: Religionen sind elementar sinnstiftend, sie konstituieren, wie wir den Sinn unserer Existenz definieren. Hier mit Anpassung an gesellschaftliche Normen zu argumentieren, würde bedeuten Minderheiten in einen inneren Konflikt zu zwingen, der sie davon abhält sich selbst und ihren Werten treu bleiben zu können. Der Einzelne muss also die Freiheit haben, religiöse Gebote einhalten zu dürfen, auch wenn dies der Mehrheitsgesellschaft missfällt. Ich bin also so frei, und darf selbst entscheiden, wem ich die Hand schütteln möchte und wem nicht.

Da das Händeschütteln jedoch kein verpflichtendes Gebot darstellt, bewegen wir uns religiös gesehen in einer Grauzone. Es kommt in der Regel einem Affront gleich, eine ausgestreckte Hand nicht zu erwidern. Diese Verletzung und Provokation, die nicht zuletzt auch dazu führen kann, dass ich meine Religion in Verruf bringe, würde ich nicht in Kauf nehmen wollen. Wo immer sich aber die Gelegenheit ergibt, möchte ich mich Verständlich machen und ins Gespräch kommen. Hand aufs Herz, das hat Hand und Fuß und dafür lege ich wenn es sein muss meine Hand ins Feuer – oder in die Hand eines anderen.

*Berufen wird sich in orthodoxen Kreisen auf die fünfte Sure des Korans, in dem es im 6./7. Vers es um die rituelle Reinheit vor dem Gebet gilt. Nach dem Geschlechtsverkehr, so heißt es, müssen Männer und Frauen ein Bad nehmen, um das Ritualgebet verrichten zu können – nicht nach jeder Berührung des anderen Geschlechtes. Warum das so ist? Der Islam ist eine ganzheitliche Religion, die davon ausgeht, dass Körper und Seele sich gegenseitig beeinflussen. Deswegen wird etwa das Gebet mit Körperbewegungen verbunden, die eine innere Haltung verstärken oder bewirken können: Das sich Niederwerfen steht für eine demütige Geisteshaltung. Sich waschen vor dem Gebet erfrischt, stärkt die Konzentration und bereitet auf das Gebet vor. Der inneren Reinigung geht eine körperliche Reinigung voran. Das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen und hat nichts mit der Abwertung des einen oder anderen Geschlechtes zu tun.

Dieser Beitrag erschien im Online Magazin „Das Milieu