Im Gespräch mit SWANS zeigt sie eine sehr persönliche Seite von sich und erzählt von Erfahrungen, die in anderen Interviews nicht thematisiert werden. Wir wollten wissen, wie es ihr in der Schulzeit ging und welche Erlebnisse ihren Werdegang geprägt haben.

SWANS: Wer hat immer an Sie geglaubt?

Hübsch: Ich bin mit sieben Geschwistern aufgewachsen, da hat der Einzelne nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen. Auch wenn ich also aktiv nicht großartig gefördert wurde, habe ich doch gespürt, dass meine Eltern an mich geglaubt haben. Bei Niederlagen und Problemen hatten sie immer ein offenes Ohr und haben mir Mut gemacht. Sie haben mich immer angespornt, weiter zu machen und nicht aufzugeben.

Meine Eltern waren mir Vorbilder, da sie eine lebendige Beziehung zu Gott hatten. Mein Vater hatte dadurch eine unglaubliche Zuversicht und Ausstrahlung. Schwierigkeiten, die mir erdrückend erschienen, waren nach Gesprächen mit ihm wieder peanuts. Es gibt eine Macht, die viel stärker ist als jemand Böses mir je zufügen kann. Wenn ich mich dahin wende und im Gebet auch um Kraft bitte, dann wird sich alles zum Guten fügen.

SWANS: Wer hat Sie unterschätzt?

Hübsch: Mein Vater war Aktivist, Schriftsteller, Imam und ein Intellektueller. Zuhause haben wir so ganz nebenbei sehr vieles mitbekommen – zum Beispiel, dass da tausende von Büchern und Zeitungen herumlagen. In diesem Klima bin ich groß geworden. In der Schule wurde ich aber behandelt, als würde ich aus einer bildungsfernen Schicht kommen, gemäß dem klassischen Migranten-Vorurteil. Dann trug ich auch noch ein Kopftuch. Somit wurde ich immer sehr unterschätzt.

Das hat sich dann so gezeigt, dass ich bei anfänglichen Notenbesprechungen in der Schule meist schlechte Noten bekommen habe und, sobald ich Prüfungen schriftlich abgegeben habe, auf einmal einen Riesensprung nach oben gemacht habe. In der Uni waren die Dozenten regelmäßig sehr irritiert, dass die beste Arbeit mit dem deutschen Namen der Kopftuch-Studentin gehörte, der sie das wohl als letztes zugetraut hätten.

Ich glaube, diese Form der Fehleinschätzung kommt häufig vor. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Migranten, die in den 70er-Jahren nach Deutschland gekommen sind, überwiegend aus bildungsfernen Schichten kamen. Das Bild der stereotypischen Gastarbeiterfamilie hat sich bei Lehrern eingeprägt. Sie haben dementsprechend eine Erwartungshaltung an diese Kinder gestellt. Das ist gefährlich, denn dadurch können selbsterfüllende Effekte in Gang kommen. Ich habe keine Gymnasialempfehlung bekommen, aber später einen Abiturdurchschnitt von 1,1 gehabt. Diese Abweichung zeigt, wie wenig einem zugetraut wird – es kann aber auch Ansporn sein.

Ich habe ohne Gymnasialempfehlung das Gymnasium besucht, weil es in unserer Familie so üblich war. Ich hatte das Bedürfnis, es auf jeden Fall zu schaffen, um den Erwartungen gerecht zu werden. Die Gefahr ist allerdings, dass nicht alle diese Strategie fahren, da nicht alle das nötige Selbstbewusstsein dazu haben. Dadurch kann auch sehr leicht ein Minderwertigkeitskomplex entwickelt werden. Es ist gefährlich, dass zusätzlich dazu unser Bildungssystem noch total diskriminiert.

SWANS: Wo war es für Sie besonders schwer? Wo besonders einfach?

Hübsch: Schule ist mir leichtgefallen. Auch das Studium, wobei es immer zwei Seiten hatte. Die eine war die fachliche und intellektuelle, die ist mir leichtgefallen. Das soziale war jedoch nicht immer ohne. So war ich im Studium schon mal Outsider. Ich hatte es in einen Studiengang mit einem hohen NC reingeschafft, war die Einzige mit einem Migrationshintergrund, wurde ständig komisch angeschaut, niemand traute mir etwas zu.

Da musste ich mir meinen Platz erstmal erarbeiten. Viele glaubten auch, dass ich kein Deutsch kann. Bis ich mir meine soziale Stellung erarbeitet hatte, ist der Kurs meist schon wieder um. Es fängt also wieder von vorne an, in jedem Seminar. Dazu ist das Studium so anonym. Das kann anstrengend sein, war für mich aber nicht so schlimm, weil ich ohnehin viele soziale Kontakte hatte – das fängt es dann auf.

Das sind so Hürden des täglichen Lebens. Gerade mit Kopftuch hast du da schnell einen Stempel auf. Du wird in Schubladen gesteckt, gegen die du erstmal ankämpfen musst. So giltst du zum Beispiel als rückständig, sehr konservativ oder ideologisch. Du wirst auch sehr viel gefragt. Einerseits ist es positiv, da du so ins Gespräch kommst. Andererseits bist du dadurch in einer Rechtfertigungsrolle – die kann auch nerven. Wobei ich immer versucht habe, es konstruktiv anzugehen. Diese Grundhaltung ist wichtig.

SWANS: Wer hat Sie besonders gepusht?

Hübsch: Es gab eine Deutschlehrerin, die sehr viel Potenzial in mir gesehen hat. Sie hat nicht unbedingt etwas Besonderes getan – außer mir berechtigt gute Noten zu geben und diese vor anderen zu verteidigen. Sie hat mich jetzt nicht empfohlen oder ähnliches; es ist aber wichtig, dass es Leute gibt, die wertschätzen, was du tust.

Ich glaube dann in der Gemeinde, ich war ja da in der Jugendarbeit tätig, da haben viele Potenzial gesehen und in diesem Kontext gab es viele, die mich gepusht haben. So bin ich in sehr jungen Jahren in den Vorstand gekommen. Das war schon recht ungewöhnlich, da ich auch einer der jüngsten war. Ich war deutschlandweit für den interreligiösen Dialog zuständig. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich gar nicht, was das bedeutet. Das wurde mir aber damals zugetraut und ich bin da hineingewachsen.

Das war schon irgendwo ein Sprung ins kalte Wasser, aber weil es mir zugetraut wurde, habe ich das gar nicht als Problem gesehen und es mir selbst dann auch zugetraut. Das ist ja normal, wenn andere einen mit Aufgaben beladen, die erst sehr schwierig erscheinen. Wenn diese Personen aber an einen glauben, dann wächst du auch total über dich hinaus. Da werden dann Kräfte frei, die dich reifen lassen.

SWANS: Wie stehen Sie zur Quotendiskussion?

Hübsch: Es ist schwierig. Die Quote ist irgendwo eine sinnvolle Sache, denn in vielen Bereichen wird es nicht ohne gehen, bis ein Umdenken stattfindet. Wobei ich es auch nicht für wünschenswert erachte, wenn sie eine langfristige Einrichtung wäre. Sie kann und soll als Ansporn oder Katalysator dienen, um das gesellschaftliche Umdenken schneller und effektiver voran zu treiben. Aber längerfristig möchte niemand die Person sein, die aufgrund einer Quote irgendwo eingestellt ist.

Das geht mir zum Beispiel in Talk-Runden oder auf einem Podium oft so, da bin ich meist irgendwo die Quotenkopftuchträgerin oder der Quotenmigrant, habe eine bestimme Rolle besetzt. Natürlich gilt das auch für den einen SPD-Politiker in der Runde oder Ähnliches. Aber es ist schon befremdlich, dass nicht zwei Frauen mit Kopftuch in einer Runde sitzen „dürfen“. Es würde das Gleichgewicht aus dem Ruder bringen.

Für den Moment ist die Frauenquote aber richtig und wichtig, auch wenn erstmal nur eine Elite davon profitiert und viele Frauen sich bewusst gegen Machtpositionen entscheiden. Allerdings nur, wenn auch das Arbeitsklima frauen- und familienfreundlicher wird. Wichtig wäre aber auch, auf mehr Vielfalt zu achten und Frauen nicht im Namen einer „Neutralität“, die von der Mehrheitswahrnehmung ausgeht, von Berufen auszuschließen.

SWANS: Welche konkreten Rassismus- und/oder Sexismus-Erfahrungen haben Sie bislang gemacht?

Hübsch: Es sind viele Erfahrungen, die natürlich das komplette Feld abdecken. Es ist viel Sexismus dabei; dass du als Frau immer noch Kommentare über das Aussehen bekommst. Dann habe ich auch noch den Namen, das wird dann ganz gern in Beziehung gesetzt. Aber das kenne ich schon seit der Schule.

Dann sind da zum Beispiel die Nachrichten nach öffentlichen Auftritten, wobei ich glaube ich ganz gut damit umgehen kann. Ich beschäftige mich gar nicht damit. Man merkt innerhalb der ersten Worte einer E-Mail, wohin das führt. Das kann man dann direkt löschen. Das belastet mich eher weniger. Ich weiß auch, dass es wenig mit mir zu tun hat. Leute, die eine umstrittene Meinung vertreten, bekommen häufig nach öffentlichen Auftritten Unmengen an Benachrichtigungen bis hin zum Shitstorm. Das ist nun mal Teil unserer digitalen Kultur – leider.

Was das normale Leben angeht, da ist es zweischneidig. Da ist das Kopftuch eher ausschlaggebend. Das wird eher als Projektionsfläche genutzt und darüber regen sich Leute auf, bekommen einen Wutanfall oder lassen Sprüche raus. Da versuche ich, schlagfertig mit umzugehen. Zumindest versuche ich, es nicht immer stehen zu lassen oder zu ignorieren. Sondern wenn es Face to Face passiert, dann auch zu antworten und ein Gespräch anzufangen. Aber ehrlich gesagt, ich habe auch Mitleid mit solchen Leuten, die voller Hass, Groll und Vorurteile zu sein scheinen. Das ist sicherlich nicht schön. Daher lächele ich dann manchmal einfach nur freundlich zurück, entschuldige mich und wünsche einen wunderschönen Tag.

SWANS: Danke für das Gespräch!

Das Interview erschien auf SWANS Initiative
http://www.swans-initiative.de/vorbilder-blog/khola-maryam-h%C3%BCbsch/