„Woran denken Sie beim Stichwort Islam?“ Mit über 80 Prozent konnotiert eine überwältigende Mehrheit der Deutschen laut einer der bislang größten repräsentativen Umfragen zur religiösen Vielfalt in Europa die Benachteiligung der Frau mit der Religion des Islams.[1]

Für das Entstehen dieses negativen muslimischen Frauenbildes spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Während es einerseits tatsächlich eine strukturelle Diskriminierung von Frauen in Teilen der sogenannten islamischen Welt gibt, übernehmen die Massenmedien mit der Selektion von Negativereignissen bei gleichzeitigem Ausblenden alternativer Narrative eine wichtige Funktion.

Dramatische Medienberichte über die Unterdrückung der Frau in der „Islamischen Welt“ thematisieren Burka, Zwangsheirat, Ehrenmorde, Peitschenhiebe und Steinigungen. Kaum bekannt ist dagegen etwa, dass Frauen in Kuwait höchste Positionen in Männerdomänen einnehmen; der Anteil der weiblichen Universitätsprofessoren in Ägypten mehr als doppelt so hoch ist wie in Deutschland und der Iran eine Männermindestquote an Universitäten eingeführt hat, weil 70 Prozent der Studierenden weiblich sind.

Das Fehlen alternativer Narrative

Medienanalysen zeigen, dass die muslimische Frau in deutschen Medien vor allem als  fremdbestimmtes Opfer dargestellt wird und die Religion des Islam als Ursache für diese Stellung verantwortlich gemacht wird.[2] Die differenzierte innerislamische Diskussion um die Stellung der Frau wird nur selten thematisiert und liberale, aufgeklärte Denker innerhalb des Islam sowie muslimische Frauen selbst kommen kaum zu Wort. Vielmehr wird eine bestimmte radikal-fundamentalistische Spielart des Islam als einzige Version des Islam dargestellt. Werden dagegen muslimische Frauen in Interviews befragt, fällt auf, dass sie oft keinen Widerspruch zwischen der Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit und ihrer Religion sehen. Vielmehr werden islamische Quellen als ein wichtiges Mittel im Kampf gegen patriarchalische Traditionen genannt, die als eigentliche Ursachen der Diskriminierung von Frauen angeprangert werden.  Es gibt islamische Gruppierungen, die eine geschlechtergerechte Exegese des Korans vorantreiben und dabei islamrechtliche Begründungen vorlegen. In vielen Medien wird jedoch eine besonders konservative orthodoxe Lesart des Korans als die islamische Position schlechthin perpetuiert, obwohl in fast allen Ländern mit überwiegend muslimischer Bevölkerung die Gleichberechtigung von Mann und Frau in den Verfassungen festgeschrieben ist  und es auch möglich ist, dies vom Koran abzuleiten.  Auch wenn nicht geleugnet werden kann, dass es eine Diskrepanz zwischen der Verfassungstheorie und gesellschaftlicher Realität gibt, sticht doch hervor, dass identische Probleme auch in nicht islamisch geprägten Ländern zu finden sind, ohne dass diese religiös begründet werden würden.

Entlastung durch Projektion

Wenn das Bild der muslimischen Frau in den Medien dagegen dominiert wird vom Klischee der unterdrückten Kopftuchträgerin, führt das zu einer Stigmatisierung der „Muslima“ mit der Funktion, sich seiner vermeintlichen Überlegenheit und Fortschrittlichkeit vergewissern zu können.  Patriarchale Strukturen in der eigenen Mehrheitskultur werden dann ausgeblendet, denn das Fremdbild dient als Gegenkonstruktion. Das ist insofern entlastend, als es impliziert, europäische Frauen erlebten keine Diskriminierung, so dass für sie selbst kein Handlungsbedarf zu bestehen scheintStatt häusliche Gewalt und Sexismus als ein allgemeines Problem zu behandeln, das jenseits der Religionszugehörigkeit weltweit verbreitet ist, wird vermittelt, der Islam als Religion sei die Ursache. Negative Aspekte des Selbst werden also durch Projektion in das Fremde ausgelagert. Damit einher geht eine Selbstidealisierung: Wenn die muslimische Frau als unterdrückt klassifiziert werden kann, darf die westliche Europäerin als vollends emanzipiert erscheinen.

Reduzierung des Problems auf den Islam

Besonders problematisch erscheint dabei, dass teilweise marginale Ereignisse und lokale Traditionen mit religiösem Dogma gleichgesetzt und verabsolutiert werden, ohne den entsprechenden Kontext darzustellen. Die Berichterstattung über so genannte Ehrenmorde etwa ist geprägt durch den suggerierten Zusammenhang, diese Form von Morden sei auf den Islam zurückzuführen. Es ist bekannt, dass Ehrenmorde nicht nur unter Muslimen vorkommen, sondern bis heute auch unter Christen, etwa in Sizilien, im Libanon oder in Syrien verbreitet sind.  Geht man einige Generationen zurück, stellt man fest, dass vergleichbare Konzepte von Ehre nicht nur in einigen christlich geprägten Regionen des Mittelmeerraumes, sondern auch in Westeuropa dominant waren.  Man kann daher schwerlich von „islamischen“ Zügen dieser Ehrvorstellungen sprechen.  Vielmehr spielen der Bildungsgrad und die soziale Herkunft eine Rolle. [3] Ähnliches gilt für Zwangsehen. Es könnte daher bei der Berichterstattung über diese Themen herausgestellt werden, dass solche Gewalttaten vor allem in bestimmten sozialen Schichten – in denen Muslime aufgrund der Anwerbungspolitik der 60er Jahre, die sich gezielt an eine ländliche türkische Bevölkerung richtete, überrepräsentiert sind – häufiger vorkommen und dass es teilweise zu einer Konservierung von patriarchalen Traditionen kommt, die in den Herkunftsdörfern bereits nicht mehr praktiziert werden.

Problematische Kausalketten

Die Gründe für die Lebensbedingungen mancher muslimischer Frauen werden jedoch häufig allein im Islam gesucht werden, um Frauenunterdrückung als ein islaminhärentes Phänomen erscheinen zulassen.  Die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer schlägt daher vor, eine Gegenprobe vorzunehmen: Indem die gleiche Argumentationsweise auf die eigene Situation übertragen wird, kann die Willkürlichkeit von Kausalitätsketten überprüft werden. Ebenso könnte die Ursache für den Sexismus in der Populärkultur der so genannten westlichen Länder etwa mühelos in der parlamentarischen Demokratie ausgemacht werden. [4] Dieses Beispiel verdeutlicht, wie irreführend es sein kann aufgrund des gleichzeitigen Vorkommens zweier Ereignisse auf einen kausalen Zusammenhang zu schließen.

Bevormundung muslimischer Frauen

Die Konzentration der Medien auf Reizthemen lässt vermuten, dass die Sorge um die muslimische Frau vorgeschoben scheint, um den Islam als Religion zu stigmatisieren. Ginge es um die Unterdrückung der Frau als solche, müsste eine breit angelegte Patriarchatskritik vorgenommen werden, die auch patriarchale Strukturen im Zusammenhang mit anderen Weltreligionen und in säkularen Systemen anprangert. Auch müssten dann Diskriminierungserfahrungen der in Deutschland lebenden Musliminnen thematisiert werden. Gerade kopftuchtragende Frauen sind im Alltag und auf dem Arbeitsmarkt häufig einer „Mehrfachdiskriminierung par excellence“[5] ausgesetzt, wie Studien der Antidiskriminierungsstelle des Bundes belegen.[6] Dies obwohl repräsentative Studien zeigen, dass nahezu alle der in Deutschland lebenden Kopftuchträgerinnen religiöse Gründe als Motiv für das Tragen eines Tuches nennen und Zwang kaum eine Rolle bei der Entscheidung spielt.[7]  Vielfach werden auch emanzipatorische Beweggründe genannt: So argumentieren muslimische Feministinnen, die muslimische Kleidung sei eine Möglichkeit, sich dem männlichen Blick zu entziehen und die Deutungshoheit über den weiblichen Körper zurück zu gewinnen. Das Kopftuch wird dann als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der Muslima gesehen, die autonom und frei von normativen Zwängen einer sexualisierten Massenkultur darüber entscheidet, wie viel sie von sich Preis gibt.[8] Diese Erfahrungen schlagen sich jedoch in der Berichterstattung nur selten nieder. Die Historikerin Yasemin Shooman konstatiert daher, dass „es bei dem Topos der unterdrückten Muslimin weniger um die Emanzipation muslimischer Frauen als eher um eine Selbstvergewisserung geht“.[9] Denn über das Narrativ der Befreiung der muslimischen Frau kann die Überlegenheit der eigenen Kultur behauptet werden. Es geht dabei indirekt auch darum, sich über die Abgrenzung zum Fremden auf bestimmte Ideale zu verpflichten. Solange es patriarchale Strukturen auch in Deutschland gibt, bleibt das Bedürfnis, die eigene Fortschrittlichkeit über die Abwertung und Stigmatisierung der muslimischen Frau unter Beweis zu stellen.

[1] Pollack, Detlef, Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt, Exzellenzcluster „Religion und Politik“, Universität Münster, 2010 (http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuelles/2010/dez/PM_Studie_Religioese_Vielfalt_in_Europa.html [Stand 15. Juli 2012]).

[2] Vgl. Hübsch, Khola Maryam: Zwischen Gewaltopfer und Haremsphantasie. Zum Selbst- und Fremdbild der muslimischen Frau. In: Barbara Stollberg-Rilinger, Hrsg., „Als Mann und Frau schuf er sie“. Religion und Geschlecht. Würzburg: Ergon Verlag 2014.

[3] Vgl. Rotter, Gernot, Die Welten des Islam. Neunundzwanzig Vorschläge, das Unvertraute zu verstehen, Frankfurt a. M. 1994.

[4] Schiffer, Sabine, Die Darstellung des Islams in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen. Eine Auswahl von Techniken und Beispielen, Diss. Erlangen / Nürnberg 2004. S.85.

[5] Jäger, Torsten (Hrsg.), Starke Frauen, schwerer Weg. Zur Benachteiligung muslimischer Frauen in der Gesellschaft. Interkultureller Rat Deutschland, Darmstadt 2010. S. 10.

[6] Vgl. Frings, Dorothee, Diskriminierung aufgrund der islamischen Religionszugehörigkeit im Kontext Arbeitsleben. Erkenntnisse, Fragen und Handlungsempfehlungen, Berlin 2010.

[7] Haug, Sonja / Stephanie Müssig / Anja Stichs, Muslimisches Leben in Deutschland. Forschungsbericht im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg 2009.

[8] Vgl. Hübsch, Khola Maryam: Unter dem Schleier die Freiheit – Was der Islam zu einem wirklich emanzipierten Frauenbild beitragen kann. München, 2014.

[9] Shooman, Yasemin, Muslimisch, weiblich, unterdrückt und gefährlich. Stereotype muslimischer Frauen in öffentlichen Diskursen (http://www.deutsche-islam-konferenz.de/cln_227/nn_1319566/SubSites/DIK/DE/Geschlechtergerechtigkeit/StereotypMuslima/stereotypmuslima-node.html?__nnn=true [Stand 15. Juli 2012]).