Das Thema „Kopftuch“ nervt. Neulich wurde ich bei Maybrit Illner mit den Worten vorgestellt „trägt seit ihrer Jugend ein Kopftuch“ – das fand ich wirklich strange. Ich meine, das ist ungefähr so, wie wenn man Sarah Wagenknecht vorstellen würde mit den Worten: Trägt seit ihrer Jugend eine Hochsteckfrisur. Oder Gregor Gysi: Trägt seit seiner Jugend eine Brille. Hallo? Geht’s noch? Man fragt sich dann: Bitte welche Relevanz hat diese Information jetzt für die Diskussion? (Es ging zum Glück nicht um´s Kopftuch) Abgesehen davon, dass man das ja sieht, dass ich ein Kopftuch trage. Wozu also diese Betonung? Warum die Reduzierung auf dieses Kleidungsstück? Warum müssen kopftuchtragende Frauen so oft Stellung beziehen zum Thema Kopftuch, hatespeech, Integration? Das ist so als würde man Schwarze oder People of Colour nur zum Thema Rassismus sprechen lassen oder Juden nur zum Antisemitismus befragen. Wo wir hin müssen ist eigentlich, dass sich kopftuchtragende Frauen im öffentlichen Diskurs ganz selbstverständlich auch zu anderen Themen äußern. Nächstes Mal könnt ihr mich ja über den Feminismus schreiben lassen oder über soziale Gerechtigkeit oder so.
Das Kopftuch wirkt in vielen Kontexten wie ein Stigma. Wenn ich auf dem Podium mit „Islamkritikerinnen“ wie Seyran Ates oder Lale Akgün diskutiere, die die skurrilsten Argumente gegen das Kopftuch anführen, ist es jedes Mal aufs Neue erschütternd zu sehen, wie leicht sie mit ihren hanebüchenen Thesen durchkommen und dafür auch noch abgefeiert werden. Sie sagen genau das, was Mainstream denkt, sie bestätigen die absurdesten Klischees über den Islam, sie fungieren als Kronzeuginnen für das eigene stereotype Weltbild. Ich habe dann in der Regel die undankbare Aufgabe, Leute aus ihrer Komfortzone zu schubsen und sie damit zu konfrontieren, dass sie unter Umständen falsch liegen könnten mit ihrer Annahme, sie seien Muslimen grundsätzlich haushoch überlegen. Die Leute reagieren mit Irritation und Empörung. Viele kommen hinterher zu mir und sagen, sie verstünden nicht, wie eine junge Frau, die offensichtlich doch nicht ganz so bescheuert, rückständig und fundi-mäßig drauf ist, wie sie erwartet hatten, ein Kopftuch tragen könne. Das sind dann Leute, die versuchen ihre kognitive Dissonanz aufzulösen, indem sie mir unterstellen, ich sei entweder a. aufmerksamkeitsgeil oder b. käuflich. „Sie machen das doch nur wegen des Geldes“, heißt es dann zum Beispiel. Weil aus Überzeugung kann einfach nicht sein. Wenn es mir um das Geld ginge, wäre es schlauer, ein Buch mit einem Titel irgendwas in Richtung „Wie der böse, faschistische Islam mein Leben ruiniert hat“ zu schreiben oder mich als unterdrückte Muslimin zu inszenieren, die es endlich geschafft hat, sich zu „befreien“. Mit solchen Thesen schreibt man derzeit Beststeller.
Bücher, die eine islamfeindliche Grundhaltung bedienen, die längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sind eine sichere Einnahmequelle. Man bestätigt eben gern sei Weltbild. Wer jedoch versucht, etwas dagegen zu setzen, die Deutungshoheit nicht allein den sogenannten Islamkritikern zu überlassen, die doch nur die Angst vor dem Islam anheizen, der hat ein schweres Standing. Der steht in der Regel am Pranger, muss sich rechtfertigen, bekommt Rollen übergestülpt, mit denen er nichts anfangen kann. Kopftuch, das ist für viele gleichzusetzen mit reaktionär, Hardliner, irgendwie hängo und Freak. Das gilt vor allem für die Generation Alice-Schwarzer, die Angst vor einem backlash der Emanzipationsbewegung durch die Einwanderung der muslimischen Frau hat. Das ist so ähnlich wie im letzten Jahrhundert die Angst der Amerikanerinnen, die sich gerade mit Mühe und Not das Frauenwahlrecht erkämpft hatten und plötzlich kamen lauter Katholikinnen ins Land. Da war das Geschrei groß, schließlich galt die katholische Frau als unterdrückt, die Haube der Nonne als Beleg für religiösen Extremismus, der die Frau unterwerfe und so weiter. Gelegt hat sich die panische Angst vor der katholischen Einwanderung erst als der Katholik John F. Kennedy Präsident wurde und das liberale Amerika entgegen aller düsteren Prophezeiungen gar nicht zwangs-katholisieren wollte.
Den Frauen der Generation Schwarzer fällt es immer noch unglaublich schwer zu verstehen, dass junge Frauen heute neben religiösen häufig sogar aus feministischen Gründen Kopftuch tragen. Wenn man so will quasi als Pendant zur lila Latzhose: Als man repeller. Sie tragen es mitunter, weil sie den männlichen Blick nicht bedienen möchten, als klares Statement gegen die Sexualisierung der Frau in der Massen- und Populärkultur. Was natürlich nicht heißt, dass sie jedem Mann unterstellen, Frauen zu objektifizieren. Das ist übrigens einer der kuriosen Thesen der „Islamkritikerinnen“, die behaupten, das Kopftuch werde getragen, damit Männer nicht über Frauen herfallen. Dabei geht es beim Kopftuchtragen nicht um sexuelle Gewalt – denn egal wie Frauen gekleidet sind, Männer haben niemals das Recht, sie zu belästigen. Der Koran fordert in der Sure mit dem Kopftuchgebot in erster Linie Männer auf, sich respektvoll Frauen gegenüber zu verhalten. Abgesehen davon frage ich mich, ob diejenige, die diese Zusammenhänge suggerieren, beim Abschließen ihres Autos auch jedem Passanten unterstellen, ein krimineller Gangster zu sein. Aber sexistische Idioten gibt es schon, ne? Gegen die könnte man sich eigentlich gemeinsam verbünden.
Viele Feministinnen der Generation Schwarzer haben allerdings einen verengten Blick auf das Kopftuch. Sie haben erlebt, wie es von Extremisten während der iranischen Revolution 1979 als politisches Symbol zu Unterdrückung der Frau missbraucht wurde. Doch muslimische Frauen haben schon Jahrhunderte davor Kopftuch tragen und dürfen es nicht zulassen, dass Knallköpfe ihre Religion vereinnahmen. Sie müssen sich die Deutungshoheit zurückerobern: Weder radikale Islamhasser noch religiöse Extremisten haben ein Recht muslimischen Frauen paternalistisch vorzuschreiben, was sie zu tragen oder zu denken haben und was nicht.
Viele Musliminnen in Deutschland, die es heute wagen Kopftuch zu tragen, müssen dafür fast schon so viel Selbstbewusstsein mitbringen, wie eine Rebellin, die das Kopftuch in einer Gesellschaft mit Kleidervorschriften ablegt. Ja, wir haben in Deutschland glücklicherweise die Religionsfreiheit, Minderheitenschutz und theoretisch auch Diskriminierungsverbot. In der Praxis bedeutet Kopftuchtragen allerdings immer noch viel zu häufig: Soziale Ächtung, knallhartes Abloosen bei der Job- und Wohnungssuche, Anfeindungen, Beschimpfungen und so weiter. In der Opferhaltung bequem machen sollten wir es uns jedoch nicht. Ich kenne so viele, die eigentlich Kopftuch tragen möchten, aber sich aus Angst vor den Reaktionen und Konsequenzen lieber anpassen. Kopftuch kann also auch bedeuten: Da hat jemand den Mut, sich dem Mainstream entgegen zu stellen. Da ist eine nicht opportunistisch, sondern lebt die Werte, hinter denen sie steht, auch wenn das heißt, sich reichlich unbeliebt zu machen. Da traut sich jemand nonkonformistisch die Mehrheitsgesellschaft immer wieder zu irritieren. Ich glaub, das ist ganz gut so.