Dass der Islam sehr wohl eine Trennung zwischen Staat und Religion kennt, wurde in diesem lesenswerten Zeit-Interview mit dem Theologen Wolfgang Palaver deutlich. Auch wenn das Interview an einigen Stellen ungenau wenn nicht gar falsch wird, so zeigt sich, dass Palaver im Gegensatz zu den meisten islamkritischen Scharfmachern zumindest Grundlagenwissen über die Frühgeschichte des Islam besitzt.

Palaver antwortet beispielsweise auf den Vorwurf, der Prophet Muhammad saw sei ein „Krieger“ und Eroberer gewesen: „Mohammed ist nach einem Familiendrama nach Medina vertrieben worden und hat dann Mekka zurückerobert. Er verzichtete auf Rache und gewährte den meisten Amnestie (Straferlass), obwohl die Versklavung niedergerungener Feinde damals völlig üblich war. Viele sagen, die Sure 12, die einzige längere narrative Passage im Koran, sei eine Parallele zu dieser Lebensgeschichte. Denn wie Joseph in der Bibel seinen Brüdern nach der brutalen Vertreibung vergibt, so vergibt auch Mohammed den Bewohnern Mekkas, die ihn vertrieben hatten.“

Auf die Geschichte des Propheten  Joseph/ Yousufas geht Palaver auch ein, als der Zeit-Journalist ihn mit dem Vorwurf konfrontiert, der Islam habe wenig mit der Bibel gemeinsam:

„Das sagen viele, es stimmt aber nicht. Die berühmte Josephsgeschichte zum Beispiel findet sich mit kleinen Varianten auch im Koran, die zentralen Elemente sind alle vorhanden. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass die Josephsgeschichte an entscheidender Stelle im Koran moralisch noch anspruchsvoller ist als im Christentum. Der Gott im Koran ist kein Gott der Rache, sondern der Vergebung und der Barmherzigkeit.“

Der  Koran hat also nicht nur Gemeinsamkeiten mit dem Christentum, was die Lehre von Barmherzigkeit und Gnade angeht, sondern brachte sehr wohl auch Neues.  Dies betont auch Palaver, wenn er erklärt, wie sehr der Islam Deutschland geprägt hat – auch wenn bestimmte Politiker immer noch der Meinung sind, nur die christlich-jüdische Kultur hätte Tradition in Deutschland. Palaver sagt dazu: „Historisch gibt es wichtige islamische Einflüsse auf die europäische Kultur. Die Klassiker der griechischen Philosophie sind uns in Arabisch von Gelehrten der islamischen Welt überliefert worden.“

Es ist in der Tat richtig und erfreulich, dass in Zeiten der Stimmungsmache ein christlicher Theologe den Islam besser kennt, als mancher Muslim, man denke nur an die Muslimin Necla Kelek, die nun gar den  Freiheitspreis bekommen hat, obwohl vielfach dagegen protestiert wurde. Warum? Na, weil sie als eine authentische Stimme gilt, als Muslimin, die den Islam von innen heraus kritisiert. Dass Frau Necla Kelek aber längst mit dem Christentum sympathisiert, für christliche Zeitschriften schreibt und jede Gelegenheit nutzt um den Islam als archaische Religion darzustellen, der das Christentum weit überlegen sei, hat die Friedrich-Naumann Stiftung, die den Preis vergab, anscheinend nicht interessiert. Uns wundert nur, warum Kelek nicht endlich zum Christentum konvertiert? Ob sie dann noch einen Preis für ihre „authentische Stimme“ erhalten hätte? Ein Schelm, wer taktische Gründe hinter ihrem „Muslim-Dasein“ vermutet. Doch Vorsicht: Wenn der hl. Prophetsaw sogar einen Feind der Muslime, der während einer Schlacht als Unterlegener unter Todesangst das Glaubensbekenntnis des Islam aussprach, das Muslimsein nicht abspricht, dann hat  natürlich niemand das Recht, auch die schärfsten Islamkritiker als nicht-Muslime zu bezeichnen.

Stören dürfte Frau Kelek, die Moscheen als „Keimzellen einer Gegengesellschaft“ bezeichnet, sich übrigens daran, dass kürzlich eine Kirche von der Ahmadiyya Muslim Jamaat zur Moschee umfunktioniert wurde, wie hier berichtet wird. Die Christen vor Ort jedoch lobten die gute und warmherzige Zusammenarbeit mit den Ahmadi-Muslimen.

Wer sich weiterhin dafür interessiert, welche Eindrücke Christen haben, wenn sie versuchen, den Koran unvoreingenommen zu lesen, dem  sei die Oktober-Ausgabe des christlichen Magazins  Publik Forums mit dem Titel „Mein Koran“ empfohlen. Dort beschreibt der Theologe Karl-Josef Kuschel, was ihn am Koran fasziniert. Übrigens veröffentlichte Kuschel auch mehrere sehr lesenswerte Bücher über den interreligiösen Dialog , darunter das Buch “ Vom Streit zum Wettstreit der Religionen. Lessing und die Herausforderung des Islam.“ Dieses Buch zeigt, dass Lessing sich bei der Pointe seiner weltberühmten Ringparabel aus dem  Drama „Nathan der Weise“ an einen Vers des Koran orientiert haben könnte.

Mit der Ringparabel versucht die Hauptfigur Nathan anhand eines Gleichnisses zu beantworten, welche der drei monotheistischen Religionen die wahre ist. Die weltbekannte Antwort des weisen Richters zur Lösung dieses Konfliktes lautet: „Es strebe jeder um die Wette….Mit innigster Ergebenheit in Gott“. Interessant ist hier nicht nur, dass Islam übersetzt nichts anderes bedeutet als „Ergebenheit in Gott“, sondern auch, dass der Richterspruch viele Elemente enthält, die an diesen Koranvers erinnern:
„Und hätte Allah gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinde gemacht, doch Er wünscht euch auf die Probe zu stellen durch das, was Er euch gegeben. Wetteifert darum miteinander in guten Werken. Zu Allah ist euer aller Heimkehr; dann wird Er euch aufklären über das, worüber ihr uneinig wart.“ (5:49).

Übrigens  berichtet Kuschel in seinem Buch  über überraschende Parallelen zwischen Lessings Stück und der Situation im heutigen Pakistan: Heutzutage müsste Nathan ein Ahmadi Muslim sein, heißt es dort, denn es sind heutzutage muslimische Fanatiker, die in ihrer Engstirnigkeit Ahmadi Muslime verfolgen.