Liebe, was ist das? Man könnte Liebe definieren, als die Sehnsucht nach Einheit, wie es auch in einigen Lexika getan wird. Wo aber liegt der Ursprung aller Einheit? Ist es nicht die Einheit des Schöpfers, die sich in der Schöpfung manifestiert?
Liebe fragt nicht:
„Wie alt bist du?“
Liebe fragt:
„Wann stirbst du endlich?“
Liebe fragt nicht:
„Wie schön bist du?“
Liebe fragt:
„Wann verlässt du deinen Spiegel?“
Liebe fordert nicht:
„Gib dich mir hin!“
Liebe sagt:
„Ich verzeihe dir, dass du bist!“
Nachdem ich dieses Gedicht in einigen Seminaren vorgelesen hatte, waren viele Teilnehmer verwirrt. Was soll das? Die Antwort liegt im folgenden Artikel verborgen.
Liebe, was ist das? Man könnte Liebe definieren, als die Sehsucht nach Einheit, wie es auch in einigen Lexika getan wird. Wo aber liegt der Ursprung aller Einheit? Ist es nicht die Einheit des Schöpfers, die sich in der Schöpfung manifestiert? Mit Verwunderung erkennen wir die Einheit jedes einzelnen Lebewesens in der Natur, so hat jeder Mensch zum Beispiel einen individuellen Finger- oder auch Zungenabdruck. Und jede einzelne Schneeflocke weist eine spezifische Kristallstruktur auf, die sich niemals mehr wiederholt, somit ist auch jedes einzelne Schneekristall ein Unikat, ebenso wie jedes Blatt – um nur wenige Beispiele zu nennen.
Wenn die Einheit des Schöpfers sich in der Schöpfung manifestiert, liegt es nahe, dass auch andere Eigenschaften und Attribute Allahs sich in der Schöpfung wieder finden und es gerade das Ziel des Muslims ist, sich mit diesen Eigenschaften zu färben, um mit Allah Eins werden zu können.
Somit spiegelt sich die Liebe Allahs, die Art und Weise, wie er liebt auch in der Liebe der Menschen zueinander wider. Man betrachte nur einmal die Mutterliebe, die an Allah als den Gnädigen (Rahman) erinnert, der in Fülle unaufgefordert gibt, ohne dass der Empfänger etwas dafür geleistet hätte. Aber auch im Hinblick auf die Nächstenliebe etwa, oder die Geschwisterliebe, die Heimatliebe und andere Formen der Liebe gibt es immer Ähnlichkeiten, die an die Liebe zu Allah erinnern, die quasi Teilaspekte der wahren Liebe, die sich durch Gott entwickelt, darstellen.
Ich möchte mich hier nun auf die Parallele zwischen der Liebe des Menschen zu Allah und der Liebe zwischen Mann und Frau konzentrieren.
MANN UND FRAU ALS EINHEIT
Mann und Frau werden im Qur-ân als Einheit beschrieben:
„Und unter Seinen Zeichen ist dies, dass Er Gattinnen für euch schuf aus euch selber, auf dass ihr Frieden fändet. Und er hat Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch gelegt. Hierin sind wahrlich Zeichen für ein Volk, das nachdenkt“ (Sura 30: Vers 22).
Wenn es heißt, dass Allah „Gattinnen für euch schuf aus euch selber“ so bedeutet dies keinesfalls, dass die Frau vom Mann abstammt oder ähnliches (nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen war der erste Mensch ohnehin eine Frau). Es werden hier auch nicht allein die Männer angesprochen. Vielmehr verwendet Allah im Qur-ân an vielen Stellen eine symbolische Anrede oder Person, die einem bestimmten Prinzip Ausdruck gibt.[1] Es geht hier also sinnbildlich um das männliche und weibliche Prinzip der Geschlechter, das eine Einheit bildet, was auch daraus ersichtlich wird, dass „Liebe und Zärtlichkeit zwischen“ den Partnern gelegt ist, die Liebe also nicht als einseitig oder von einer Richtung kommend beschrieben wird. Dies wird ferner daran deutlich, dass als Ziel und Sinn der Einheit zwischen Mann und Frau das finden von „Frieden“ genannt wird. Vollkommener und dauerhafter Frieden aber ist niemals durch Einseitigkeit zu erreichen, sondern stützt sich auf beide Pole, sowohl Mann als auch Frau müssen Frieden in der Ehe finden können. Interessant ist dabei, dass Islam übersetzt Frieden finden bedeutet. Frieden finden durch die vollkommene Unterwerfung in den Willen Gottes. Zudem ist, wie unser geliebte Hazur IV. zu sagen pflegte, ein Muslim jemand, der Frieden hat und Frieden verbreitet. In diesem Kontext wird überdies deutlich, warum es A-Hadith gibt, die besagen, dass Heirat der halbe Glaube ist, und der heilige Prophet (saw) betonte: „Wer nicht heiratet ist nicht von mir“. Der Grund für die fundamentale Wichtigkeit der Heirat ist also, dass durch die Heirat das Erreichen von Frieden mittels der Liebe in der Ehe möglich wird. „Liebe und Zärtlichkeit“ sind damit Wege, um Frieden zu erlangen. Deshalb ist das Ziel einer jeden Heirat das Finden von Frieden, was bedeutet den ursprünglichen Zustand der Einigkeit zu erreichen, der durch die „Sehnsucht nach Einheit“, also der Liebe geweckt wird und durch diese bedingt ist. Liebe als Motivation, Weg und Ziel, um mit dem Partner –wieder– Eins zu werden. Um dann wiederum durch das Erreichen dieses Zustandes Kraft zu schöpfen für das Ziel des Lebens: Der Verschmolzenheit mit Allah.
Damit korreliert die Liebe zum Partner mit der Liebe zu Allah. Das Ziel beider Liebesbeziehungen ist die Verschmelzung zur Einheit, denn auch im Hinblick auf Allah heißt es im heiligen Qur-ân:
„O die ihr glaubt, fürchtet Allah und suchet den Weg der Vereinigung mit Ihm und strebet auf Seinem Weg, auf dass ihr Erfolg habt“ (Sura 5: Vers 36).
Was ist hier mit fürchten gemeint? Ist es ein strafender Gott vor dem wir Angst haben sollen? Den wir fürchten, weil er uns mit dem Höllenfeuer droht? Gottesfurcht oder auf arabisch Taqwaenthält als Vorraussetzung die Sehnsucht nach Liebe. Damit bedeutet Furcht in diesem Zusammenhang, die ständige Angst davor, dass der Geliebte einen verlassen könnte – weil ich als Liebender meiner Liebe nicht treu war, das heißt eine Tat begangen habe, von der ich weiß, dass sie dem Geliebten missfällt und die dazu führt, dass ich dem Geliebten nicht mehr nahe bin. Der Liebende wird also stets versuchen, das Wohlgefallen seines Geliebten zu erreichen und dadurch dem Begehrten immer näher zu kommen. Dieses Verhältnis finden wir in einer aufrichtigen Partnerschaft zwischen Mann und Frau ebenso, wie es Allah im Qur-ân im Hinblick auf die Liebe zwischen Mensch und Allah beschreibt. Doch wie kann der Mensch zur Vereinigung mit dem Geliebten gelangen? Allah ermahnt uns im selben Vers „auf Seinem Weg“ zu „strebe[n]“. Dieses Streben impliziert zunächst einmal, dass es der Anstrengung bedarf Allahs Liebe zu erreichen, dass ein langer Weg zu gehen ist, der zudem Standhaftigkeit und die Kraft, Hindernisse zu überwinden, erfordert. Es bedeutet auch, dass die Liebe sich entwickelt, dass sie viele Stufen des Wachstums erklimmt und damit eine Kunst ist, die erlernt werden muss.
DIE KUNST DES LIEBENS. ODER: DER UNTERSCHIED ZWISCHEN VERLIEBEN UND LIEBE
Wenn Liebe eine Kunst ist, die man wie jede andere Kunst erlernen muss, dann ist sie nicht nur abhängig vom Objekt, sondern in erster Linie vom Künstler der Liebe selbst.[2] Ebenso wenig wie das Klavier daran schuld ist, dass ich nicht gut Klavier spielen kann ist auch der Partner nicht in erster Linie daran schuld, wenn wir nicht gelernt haben zu lieben. Natürlich müssen bestimmte spezifische, individuelle Elemente im Partner vorhanden sein, damit man die Liebe erlernen kann (- wie auch beim Klavier -), doch viel wichtiger ist die Bereitschaft und die Entscheidung, dies tun zu wollen. Geduld, Disziplin, Bemühungen und ständige Entwicklung gehören damit zum Erlernen der Disziplin Liebe.
Somit ist die Liebe auch ein Akt des Willens – immer in Abhängigkeit der Gnade Gottes, doch sola gratia[3] bedeutet nicht, dass wir das stetes Streben aufgeben dürften.
Man muss sich dabei im Klaren darüber sein, dass tiefe Liebe nicht einfach wie eine Revolution auf uns hereinbricht, sondern vielmehr eine konstante Evolution erfordert. Revolution statt Evolution bedeutet auch, dass man zwischen Liebe und Verliebt-Sein unterscheiden muss.
Verliebt ist man zunächst in die Schönheit. Es kann die Schönheit Allahs sein, die sich etwa in der Natur manifestiert. Es ist die Schönheit eines Menschen, in die wir uns verlieben – von der wir uns aber auch blenden lassen können, wenn wir uns nicht die Frage stellen: Warum habe ich mich verliebt? Was ist der Ursprung der Schönheit? Äußerliche Schönheit wirkt vor allem evolutionsbiologische bedingt anziehend auf uns: Das heißt wir finden schön, was uns früher Arterhaltung versprach, Es ist die „Steinzeit-Psyche“, die uns für Reize empfänglich macht, die anscheinend gesunde Gene versprechen. Verliebt-Sein ist damit in erster Linie ein vorprogrammiertes Reagieren auf Reize und nicht zu vergleichen mit Liebe, die sich entwickelt. Die Verliebtheit muss sich also in Liebe wandeln, sonst bleibt sie eine Seifenblase, ein Strohfeuer, das beim nächsten Wind der Prüfung erlischt. Ein kurzfristiger Rausch, da die anfängliche Faszination, die Schönheit auf uns ausübt, durch Gewöhnung nachlässt und uns anfällig für Ablenkungen macht, die mehr Schönheit suggerieren. So nimmt man die Pracht der Natur irgendwann gar nicht mehr wahr, ebenso wie man sich auch vom eigenen Partner anbetracht all der anderen attraktiven Menschen kaum mehr hinreißen lässt.
Es gibt also genügend Reize, die uns ablenken von der physischen Schönheit Allahs oder des Partners. Das Streben nach mehr materiellen und körperlichen Genüssen beschleicht uns. Liebe jedoch muss sich beweisen, erst dann unterscheidet sie sich vom Zustand des Verliebten. Liebe muss den Prüfung der Treue ablegen: Nicht dann, wenn es schwer fällt zu flüchten – das bedeutet Liebe. Nicht zu anderem Menschen flüchten, wenn man Probleme mit dem Ehepartner hat, sondern sich den Schwierigkeiten stellen und sich dadurch zu entwickeln zeichnet Liebe aus. Im Hinblick auf die Liebe zu Allah gilt dies ebenso: Wenn unsere Beziehung zu Allah schwierig wird, wenn Allah uns prüft, neigt der Mensch dazu, in weltlichen Genüssen Zuflucht zu suchen, anstatt zu Allah zu gehen. Interessant ist dabei, dass Ehepartner sich gegenseitig prüfen, wie auch Allah den geliebten Gläubigen stetig prüft. Es ist der treue Liebespartner, der unsere Schwächen genau kennt und der uns mit seinem Verhalten herausfordert, diese zu ändern. Er eröffnet uns damit den Weg zur persönlichen, charakterlichen und spirituellen Entwicklung, wenn wir uns darauf einlassen, durch Änderung zu reifen – und nicht den Partner zu verfluchen, weil er uns auf unsere Fehler aufmerksam macht. Dies bedingt eine Kritikfähigkeit: Oft beschuldigt man den Partner, weil er uns eine Entwicklung abverlangt und macht ihn deswegen verantwortlich, statt zu erkennen, dass uns der Partner gerade ermöglicht weiterzukommen, unser persönliches Potential zu entfalten und fort zustreben. „Ein Muslim ist ein Spiegel für den anderen“ heißt es dazu in einem Hadith. Jemand, der uns auf unsere Fehler aufmerksam macht, ohne dass es jemand anderes mitbekommt. Denn wenn ich mich vom Spiegel entferne, ist mein Spiegelbild, das mir die Flecken im Gesicht zeigte, ebenso entschwunden und damit für keinen Dritten zugänglich. „Geliebt wirst Du einzig, wo Du schwach Dich zeigen darfst, ohne Stärke zu provozieren.“ (Adorno). So werden wir auch im Qur-ân aufgefordert, die Schwächen und Fehler des Partners als Geheimnis zu wahren.[4] Was aber, wenn wir unsere Fehler nicht einsehen wollen?
DIE VERFÜHRUNG DER ILLUSION
Wie auch Allah bleibt der Partner meist hartnäckig in seiner Forderung: Wir werden immer und immer wieder mit den gleichen Problemen konfrontiert, bis wir die Prüfung bestanden haben und eine Stufe höher gelangt sind – sowohl in der Ehe als auch in unserem Verhältnis zu Allah gilt dieses Prinzip der scheinbaren Endlosschleife, die uns zwingt an unseren Schwächen zu arbeiten, wenn wir nicht scheitern wollen, nicht sitzenbleiben wollen. Prüfungen eröffnen uns daher den Weg zur Weiterentwicklung – sie können aber auch destruktiv wirken, wenn wir vor ihnen flüchten. Wenn wir etwa von der Illusion verführt werden, ein anderes Liebesobjekt könne mehr Frieden bieten. Untreue Allah gegenüber oder dem Partner gegenüber ist jedoch verurteilt in Frustration zu enden, weil irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem uns auch das neue Liebesobjekt mit Prüfungen konfrontiert und eine Entwicklung von uns abverlangt. Es ist ein Teufelkreis der Fluchten, bei dem man von einer Betäubung in die nächste flieht: Denn all die Illusionen, die wir uns bereiten, um ja nicht den Kampf gegen unser Ego zu gehen, führen zur Lethargie und damit zum Stillstand auf dem Weg zu Allahs oder dem Partner. Nichts stimuliert folglich die spirituelle Entwicklung stärker als eine konstruktive, lebendige Liebesbeziehung zu Allah und dem Partner und nichts schränkt die persönliche und spirituelle Entwicklung stärker ein, als eine destruktive, tote Liebesbeziehung.
Was sind das nun für Illusionen, die unseren Ehrgeiz abstumpfen lassen im Kampf um die Treue? Die wir anfangen anzubeten und dadurch verrohen? „Und doch gibt es Leute, die sich andere Gegenstände der Anbetung setzten und sie lieben, wie die Liebe zu Allah. Doch sind die Gläubigen stärker in ihrer Liebe zu Allah.“[5]
Die Gegenstände der Anbetung sind gerade in der heutigen Zeit nicht wenige, wir werden gerade zu von ihnen umlagert und bombardiert. Es ist zum Beispiel der Gott Mammon, das Geld, die Macht und der Erfolg, der viele Menschen berauscht. Es ist aber auch die Bequemlichkeit in unserer hochtechnisierten Welt, der den Willen zu streben, erlahmen lässt und der träge und lustlos macht, die Hürden und Schwierigkeiten auf dem Weg auf sich zu nehmen. Und natürlich sind es Drogen jeglicher Art, nicht nur illegale Rauschgifte, sonder vor allem auch Alltagsdrogen wie Alkohol, Zigaretten, aber auch Musik und Filme, ja sogar das (maßlose) Essen: „Und esset und trinket, doch überschreitet das Maß nicht; wahrlich, Er [Allah] liebt nicht die Unmäßigen.“ [6] Es sind diese Drogen, die zur Flucht für uns werden, durch die wir erlahmen, uns betäuben lassen, weil wir versuchen, darin unseren Trost zu suchen. „Ja, im Gedenken Allahs ist´s das Herzen Trost finden können“ .[7]
DER MUT ZUM DIENEN
Eine falsche Göttin, die in unserer Zeit besonders viel Macht hat, und die vor allem für die Liebe zum Partner eine Probe darstellt, ist ohne Zweifel die Göttin Sex, die ihre Sklaven dazu bringt in ein nimmersattes Lechzen nach äußeren Formen zu verfallen und ihnen die Illusion verkauft, in der körperlichen Be-fried-igung Frieden zu finden. Ihre Anbetung fängt bereits im Kopf an: Untreue Gedanken, ausschweifende Blicke führen uns in ihre Fänge. Nicht umsonst heißt es „Nahet nicht dem Ehebruch“[8], der in Korrelation zu dem heutzutage allzeit geforderten „Blicke zu Boden schlagen“[9] steht. Ein Hadith verdeutlicht dazu: „Wenn ein Mann und eine Frau allein unrechtmäßig zusammen sind, ist Satan der dritte“. Wo dagegen wahre, rechtmäßige Liebe zwischen Mann und Frau ist, ist Allah der Dritte.
Denn diese Liebe in der Ehe, ist nicht reduziert auf Formen, Muster, Alter oder Spiegelbild (siehe Gedicht). Es geht um mehr, als die Gier nach der Befriedigung der Lust, ohne dass man über die Folgen nachdenken will. Voraussetzung für diese Liebe ist der beharrliche Wille, der durch das Erhaschen von Schönheit entsteht, die unsere Sehnsucht weckt und uns nach mehr streben lässt. Wer nie Musik gehört hat, der vermisst nichts (Adorno) – es ist also die gelebte Erfahrung und die Ahnung davon, was noch möglich ist, die uns treibt und zum Handeln bewegt. Erkenntnis ist damit der Weg zur Liebe:
„Ich habe die Menschen nur darum erschaffen, dass sie Mich erkennen und mir dienen.“[10] , sagt Allah im Qur-ân. Es ist Allahs Anblick, die Manifestation Seiner Eigenschaften in uns, der uns schön werden lässt. Es ist die Erkenntnis im Blick der Liebe und nicht im Spiegelbild, die uns befreit von der Schalheit in sich selbst verliebt zu sein, von seinem Ego übermannt zu werden. Nicht durch Zufall heißt es auch, dass es im körperlichen Akt der Vereinigung zwischen Mann und Frau zur „vollkommenen Erkenntnis“ kommt.
Wer die Mauer des Gefängnisses berührt, der hat sie bereits durchbrochen (Hegel). Der Erkenntnis folgt das Handeln, sie verpflichtet gewissermaßen dazu. Um aber zur Erkenntnis zu gelangen, müssen wir unsere Sinne öffnen für die Liebe, empfänglich für sie werden. Es gilt eine Verfeinerung der Sinne zu erreichen, sie zu sensibilisieren für die Tiefen der Liebe und nicht durch eine Überreizung abzustumpfen. Eine Überreizung, die uns blockiert und undankbar werden lässt.
„Warum sollte Allah euch strafen, wenn ihr dankbar seid und glaubt? Und Allah ist anerkennend, allwissend.“[11] Dankbarkeit wird also erwidert mit Anerkennung – ein Verhalten, dessen Imitation unsere Ehe bereichert, weil damit das Dienen und die Dankbarkeit nicht als negativ konnotierter Ausdruck von Schwäche gedeutet werden und Machmißbrauch implizieren, sondern als Größe erkannt werden, die Vertrauen und Liebe fördert.
„Allah will euch nicht in Schwierigkeiten bringen, sondern Er will euch nur reinigen und Seine Gnade an euch erfüllen, auf dass ihr dankbar seiet“ .[12]
Dankbarkeit schützt vor Hochmut – die Eigenschaft die Satan charakterisiert, von der man gereinigt werden muss durch Dienen. Dankbarkeit ermöglicht demnach Demut, dem Mut zu dienen. Ein Partner, der die Leistungen seines Lebensgefährten nicht anerkennt und schätzt, sondern sie mit der Zeit als selbstverständlich hinnimmt und sogar anfängt zu fordern, verliert die Zuneigung seines Geliebten. Der Ehemann, der sich nicht für das liebevoll zubereitete Essen seiner Frau bedankt, sondern davon ausgeht, es sei ihre Pflicht, lässt sich eine Gelegenheit entgehen, den Samen der Liebe wachsen zu lassen und sinkt in der Gunst der Frau. „Sie sind nicht eure Dienerinnen, sondern eure Gefährtinnen“, wurde dem Verheißenen Messiasasvon Allah offenbart. Genauso sabotiert Undankbarkeit auch unsere Liebe zu Allah, indem wir aufhören uns Seiner Gnade bewusst zu werden und uns dadurch vom Stolz betören lassen. Dankbarkeit findet ihren Ausdruck, indem sie die Routine bricht und man Geschenke macht, Liebesdienste erweist. Eine Ehe ohne Geschenke ist fade, genauso sind auch unsere Nawwafil Gebete, unsere freiwilligen Zusatzgebete, Mittel mit denen wir aus der Routine ausbrechen und damit „neuen Glanz“ in unsere Liebesbeziehung zu Allah bringen. „Jeden Augenblick offenbart Er [Allah] Sich in neuem Glanz“.[13]
DIE SPRACHE DER LIEBE
Dementsprechend heißt es im Qur-ân: „Suchet Hilfe in Geduld und Gebet; und das ist freilich schwer, es sei denn für die Demütigen im Geiste[14]. Geduld in der Liebe bedeutet Standhaftigkeit, Treue, Evolution. Das Gebet ist dabei die Sprache der Liebe, der Ausdruck für eine lebendige Kommunikation, ohne die sowohl die Ehe, als auch die Beziehung zu Allah tot ist. Lebendig bedeutet damit auch, dass die Kommunikation niemals einseitig sein kann, Allah sagt im Qur-ân: „Ich bin nahe. Ich antworte dem Gebet des Bittenden, wenn er zu Mir betet“[15]. Lebendig bedeutet weiterhin, dass das Wort in den Taten auflebt:
„Liebt ihr Allah, dann folget mir, dann wird Allah euch lieben, und euch eure Fehler verzeihen, denn Allah ist allverzeihend, barmherzig“. Mit Folgen ist hier die Sunna gemeint – den Taten des Heiligen Propheten Mohammedsaw zu folgen bedeutet zum Beispiel, Barmherzigkeit und Gnade auszuüben und das Böse mit dem abzuwehren, was das Beste[16] – Dinge, die zugleich in der Ehe unentbehrlich sind. Es deutet weiterhin darauf hin, dass wir die Welt in Beziehung setzen zu spirituellen Ebenen. Der Prophet Salomoas sagt dazu im Qur-ân: „Ich habe die gute Dinge dieser Welt sehr lieb um der Erinnerung meines Herren willen„[17]. Die Welt wird hier nicht mit den Augen der materiellen Begierden gesehen, sondern stets als Manifestation der Schönheit Allahs, als Spuren, die an Allah erinnern lasse und die Verlangen nahm ihm steigern.
„Folgen“ steht damit auch dafür, seine niederen Triebe zu kontrollieren, sich nicht von der Triebseele, der „Nafs-e-amara“ verführen zu lassen: Also um treu zu sein, seinen Sexualtrieb in der Ehe zu kanalisieren, während des Fastens seinen Hungertrieb zu bändigen, den Selbsterhaltungstrieb zu durchschauen, um sein Ego überwinden zu können, wozu auch die Gier nach Macht und Besitz gehört:
„Nie könnt ihr zur vollkommenen Rechtschaffenheit gelangen, solange ihr nicht spendet von dem, was ihr liebt“. Loslösung von dem Materiellem, an dem man klammert, bedeutet Freiheit – die uns wiederum den Freiraum, höher zu fliegen. Dazu gehört aber auch, das sich Loslösen von der Liebe zu sich selbst und dem schmachten danach, dass das Selbst Liebe durch andere erhält.
Folglich ist es meist so, dass die Menschen darauf hinaus sind, geliebt zu werden, statt selbst zu lieben. Männer setzten dazu Reichtum, Macht, Stellung und Erfolg ein. Frauen möchten geliebt und begehrt werden, und tragen dazu ihre Reize zur Schau, setzen ihre Attraktivität ein. Selbst zu lieben, spenden von dem, was man liebt, das heißt sein Ego zu verlassen und damit nicht nur Liebe zu verlangen, erfordert Opferbereitschaft.
LIEBE ALS AKT DES GEBENS
Denn die Liebe selbst ist ein Akt des Gebens und des sich Selbst-Aufgebens. Das bedeutet aber auch, dass wir erst durch das Erlernen der Liebe erkennen, was es heißt frei zu sein. Wer die Mauer des Gefängnisses berührt, der hat sie bereits durchbrochen. Die Einsicht, dass der Mensch in Ketten geschlagen ist vom Egoismus, von Reizen, die seine Sinne einnehmen, von der Gier nach mehr…diese Einsicht ist es, die uns anspornt durch die Liebe eine Befreiung von Abhängigkeiten zu erlangen, die man wirklich Freiheit nennen kann. „Freiheit heißt von Allah gefangen zu sein“, verkündet der Verheißenen Messiasas.
„Die meisten Menschen haben Angst, dass sie ihre Freiheit verlieren, wenn sie lieben, und können nicht glauben, dass die Liebe gleichzeitig die größte Entwicklung der Freiheit bedeutet.“ (Erich Fromm).
Liebe als Akt des Gebens nimmt besonders anschaulich Gestalt an in der körperlichen Vereinigung von Mann und Frau: Liebe ist hier eine Macht, die Liebe erzeugt, denn im Akt des Gebens wird neues geboren, es entsteht ein neues Leben. „Wer eine gute Tat vollbringt, dem soll zehnfach vergolten werden“[18] – Wer selbstlos gibt, der erhält ein vielfaches zurück. Metaphorisch ist der Akt des Gebens, für den man sich selbst überwinden muss, in dem man seinen Egoismus sterben lässt, mit dem Entstehen eines viel erfüllteren, neuen Lebens verbunden. Ein nun erst wahrhaft lebendiges Leben in der Einheit mit Allah. „Und solang du das nicht hast, / Dieses: Stirb und Werde!/ Bist du nur ein trüber Gast/ Auf der dunklen Erde.“[19] (Goethe).
AL-WADDUD – DIE QUELLE DER LIEBE UND ISHQ, DIE LEIDENSCHAFTLICHE LIEBE
Liebe als inhärente Sehnsucht nach der ursprünglichen Einheit allen Lebens ist auch deswegen eine so starke Kraft, weil Zweiheit da ist. „Und Wir haben euch in Paaren erschaffen“ [20] heißt es im Qur-ân. Paare, die inständig danach trachten, wieder eins zu werden. Gleichzeitig ist uns Allah aber „näher als die Halsader“[21]. Und wer einen Schritt auf Allah zugeht, so heißt es in einem Hadith, dem kommt Er tausend Schritte zugerannt. Somit entsteht Liebe und Einheit durch die Gnade Allahs, wobei die Gnade ein Geschenk ist, das Gott dem zum Geliebten gewordenen gewährt und durch die der Zugang zur Barmherzigkeit erst eröffnet wird, der sich in unseren Gebeten und Bitten äußert.
„Diejenigen, die da glauben und gute Werke tun, ihnen wird der Gnadenreiche Liebe bereiten“[22]. Das Wort für Liebe, das hier im Arabischen verwendet wird, ist Wudd und bedeutet soviel wie „Liebe, die wie ein Keil durchs Herz dringt“. Allah ist damit Al-Waddud, die Quelle der Liebe. „Er ist Allah, der Allverzeihende, Liebreiche“[23]. Ein anderes Wort für Liebe, das im Qur-ân, aber auch in einem Hadith verwendet wird, indem der Mohammedsaw erklärt: Liebe ist mein Fundament, ist Ishq.
Ishq, das ist die feurige Liebe, der Wortstamm ist abgeleitet von „Ashiqa“ dem Wort für „Kletterpflanze“. Ishq beschreibt demnach eine Liebe, die nachdem sie ihre Wurzeln im Herzen des Liebenden geschlagen hat, alles andere dieser Liebe unterordnet. Es gibt nichts mehr, was wichtiger sein könnte. Das Feuer der Liebe vernichtet alle anderen Begierden und Wünsche. Diese Liebe ist es, die ebenso wie die Kletterpflanze, immer höher strebt und weiter wächst durch das Wasser der Offenbarung Allahs. Genau das ist es, was das Glaubensbekenntnis, die Kalima zum Ausdruck bringt: La illaha illalah, Es gibt keinen anderen Gott als Allah. „Ila“ bedeutet: Ein ersehntes Ziel. Es gibt also keinen Geliebten im Leben eines Muslims, dessen Liebe ihm wichtiger wäre, kein Ziel, das er sich sehnlicher wünscht, als die Liebe Allahs.
Das Erreichen dieser Liebe in Einheit ist das, was wir als Paradies bezeichnen. „Es ist, als ob Feuer und Eisen so stark verändert sind, dass das Eisen scheinbar zu Feuer wird“, beschreibt der Verheißenen Messiasas diesen Zustand. Und demgemäß wird auch die Vereinigung von Mann und Frau, konkret der Orgasmus, vom islamischen Mystiker Al Ghazzali, als ein Vorgeschmack auf das Paradies beschrieben. Zugleich wird in den A-Hadith zum Paradies die Liebe das entscheidende Merkmal erwähnt:
- Allah hat bei der Schöpfung einen Teil Liebe von allen Formen der Liebe unter der gesamten Menschheit verteilt und 99 Teile aufbewahrt für das Paradies.
- Bei Ihm, in dessen Hand meine Seele liegt, ihr werdet niemals das Paradies erreichen können, solange ihr nicht glaubt und niemals könnt ihr wahrhaft glauben, solange ihr euch nicht gegenseitig liebt.
Das Gegenteil des Paradieses, ist die Hölle, die auch als spirituelles Krankenhaus bezeichnet wird, weil dort die Seele von ihren Krankheiten geheilt wird. Die kraftvollste Medizin, um den Menschen spirituell und sogar körperlich zu heilen, das ist die Liebe: „Die Liebe des Herrn kann abertausend von Krankheiten heilen“, dichtet der Verheißenen Messiasas. Abschließen möchte ich mit einem Gebet des heiligen Propheten Mohammed:
„O Allah, ich trachte nach Deiner Liebe, sowie nach der Liebe jener, die Dich lieben. Und ermögliche es mir Taten zu vollbringen, die es mir ermöglichen Deine Liebe zu erlangen“. Amin.
Khola Maryam Hübsch, September 2003.
[1] Hadayatullah Hübsch: „Zwei Verse erklärt“.
[2] Erich Fromm: Die Kunst des Liebens.
[3] Allein die Gnade
[4] Sura 4: Vers 35.
[5] Sura 2: Vers 166.
[6] Sura 7: Vers 32.
[7] Sura 13:Vers 29.
[8] Sura 17:Vers 33.
[9] Sura 23: Vers 32.
[10 ]Sura 51:Vers 57
[11] Sura 4: Vers 148.
[12] Sura 5: Vers 7.
[13] Sura 55: Vers 30.
[14] Sura 2:Vers 46.
[15] Sura 2:Vers 187.
[16] Sura 23:Vers 97.
[17] Sura 38: Vers 33.
[18] Sura 6:Vers 161.
[19] Goethe in seinem Gedicht „Selige Sehnsucht“.
[20] Sure 78: Vers 9.
[21] Sure 50: Vers 17.
[22] Sure 19: Vers 97.
[23] Sure 85: Vers 15.